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Gudrid Hansdottir: Taking Ship (Review)

Artist:

Gudrid Hansdottir

Gudrid Hansdottir: Taking Ship
Album:

Taking Ship

Medium: CD
Stil:

Folk und Pop aus Heines Liederbuch

Label: Beste! Unterhaltung / Broken Silence
Spieldauer: 22:54
Erschienen: 17.01.2014
Website: [Link]

Ach, hätte das doch ein HEINRICH HEINE noch erleben dürfen – Deutschland wäre kein Wintermärchen mehr für ihn, sondern ein musikalischer Traum direkt von den Faröer Inseln! Und es bedarf wohl einer GUDRID HANSDOTTIR, um diesen außergewöhnlichen deutschen Dichter, der so unangepasst und unbequem war und im Grunde den selbstverliebt-machtbesessenen, doch zugleich genialen Anpasser Goethe mit seiner emotionalen Intensität locker in den literarischen Sack steckte, wieder in den Mittelpunkt unserer an Oberflächlichkeit immer unerträglich werdenden Kultur- und Musik-Zeit zu rücken. Heines „Buch der Lieder“ wird niemals sein Schönheit verlieren – und die Lieder, die GUDRID HANSDOTTIR daraus vertont, bekommen damit endlich das, was sie schon längst verdient hätten: ein in Noten gegossenes Denkmal!

Die mehrfach ausgezeichnete Musikerin, deren Stimme völlig zurecht in der Presse als „ungemein attraktiv“ angepriesen und mit der schönen Metapher „klarer Natürlichkeit, die Felsen zum Schmelzen bringen würde“ verglichen wird, gelingt es auf „Taking Ship“ tatsächlich, fünf liebevoll ins Englische übersetzte Gedichte von Heine in Lieder zu verwandeln, die Heines Lyrik in ein Klang-Gewand kleiden, das es so wohl noch nie gegeben hat. Nichts deutschtümelnd Volksliedhaftes, sondern skandinavische Tiefen-Melancholie, lassen die Gedichte musikalisch erstrahlen. Beinahe glaubt man, zugleich auch Heines bewegtes – und vor allem tragisches – Leben mit aus „Taking Ship“ herauszuhören. Vom (elektro-poppigen) Revoluzzer bis zum (akustisch-balladesken) todsterbenskranken, trotzdem nie seinen Lebensmut und seine Ironie verlierenden, Dichter, der in seiner „Matratzengruft“ gefangen war und am 12. September 1848 – noch acht Jahre vor seinem Tod – an seinen Bruder schreibt:

„[...] Ich weiß nicht, woran ich bin, und keiner meiner Ärzte weiß es. Soviel ist gewiss, dass ich in den letzten 3 Monaten mehr Qualen erduldet, als jemals die spanische Inquisition ersinnen konnte. Dieser lebendige Tod, dieses Unleben, ist nicht zu ertragen, wenn sich noch Schmerzen dazugesellen. [...]
Wenn ich auch nicht gleich sterbe, so ist doch das Leben für mich auf immer verloren, und ich liebe doch das Leben mit so inbrünstiger Leidenschaft. Für mich gibt es keine schönen Berggipfel mehr, die ich erklimme, keine Frauenlippe, die ich küsse, nicht mal mehr ein guter Rinderbraten in Gesellschaft heiter schmausender Gäste; meine Lippen sind gelähmt wie meine Füße, auch die Esswerkzeuge sind gelähmt, ebensosehr wie die Absonderungskanäle. Ich kann weder kauen noch kacken, werde wie ein Vogel gefüttert. Dieses Unleben ist nicht zu ertragen. Oh! welch ein Unglück, lieber Max, dass ich nicht bei Dir sein kann.
Dein armer Bruder Heinrich Heine“

So ist es auch kein Wunder, dass dieses mit knapp 23 Minuten viel zu kurze - so gesehen also nur ein „halbes“ - Album mit dem instrumentalen Piano-„Epilogue“ von ÓLAFUR ARNALDS abschließend genau die Trauer ausdrückt, die Heine fast 25 Jahre lang in Form seiner schweren Krankheit, die noch immer ungeklärt ist, wobei entweder Syphilis oder Tuberkulose vermutet wird, begleitete.

Das Liebesgedicht „From Those Blue Eyes“ (Mit deinen blauen Augen) eröffnet den musikalischen Reigen auf „Taking Ship“ und erinnert mit seinen elektronischen Pop-Elementen natürlich sofort an das Musikprojekt BYRTA, auf dem GUDRID HANSDOTTIR gemeinsam mit JANUSS RASMUSSEN 1-A-Elektro-Pop darbietet. Eine ausführliche Besprechung zu dem Album, das erst vor kurzem in Deutschland erschien, gibt es auch auf unseren Seiten zu lesen. Ähnlich klingen dann auch der Titel-Song „Taking Ship“ (Wasserfahrt) und „Tú Hevur Taer Dyrastu Perlur“, was in Anbetracht der Tatsache, dass auf allen drei Songs auch besagter JANUSS RASSMUSSEN mitwirkt, nicht verwundert.

Dann aber wird es bis zum Album-Ende hin sehr traurig – musikalisch wie textlich. Kontrabass und Gitarre begleiten in tiefer Melancholie „You Blossom Like A Flower“ (Du bist wie eine Blume), ein Gedicht, in dem Heine seine Wehmut ausdrückt, wenn er über die Vergänglichkeit der Schönheit nachdenkt. Einen ganz besonderen Reiz erfährt der Song dann zusätzlich noch, da Hansdottir im Duett mit LAURI MYLLYMÄKI, dem Sänger von OCHRE ROOM (Kritik zur aktuellen CD der Band ebenfalls auf unseren Seiten zu finden!), antritt, der dieses „Ich schau dich an / Und Wehmut fließt mir ins Herz hinein“ erklingen lässt. Für mich persönlich der Favorit des Albums!

Die letzten drei Titel sind dann sehr spärlich instrumentiert und strahlen durch die Natürlichkeit von ausschließlich akustischer Gitarre auf „You Have Diamonds“ (Du hast Diamanten und Perlen) und Piano auf „I Had In Mind To Stay“ (Ich wollte bei dir weilen), die GUDRID HANSDOTTIR begleiten, eine besondere textlich-gesangliche Intensität aus. Selbstverständlich klingen diese Lieder sehr ruhig und voller Trauer, denn es geht in beiden um die Qualen des Liebesverlusts oder der betrogenen Liebe.

23 Minuten ganz große musikalische & textliche Kunst auf der Höhe der Zeit – dagegen sieht vieles, was heutzutage modern sein soll, verdammt alt aus!

FAZIT: Eine Musikerin von den Faröern Inseln, die Heinrich Heines Gedichte vertont und sich dabei musikalisch ganz locker in die Reihen so großer Sängerinnen wie AGNES OBEL, JULIA STONE oder ADELE einreiht. Und ich bin mir ganz sicher: ein HEINRICH HEINE wäre stolz auf GUDRID HANSDOTTIR gewesen!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 5152x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • From Those Blue Eyes
  • Taking Ship
  • You Blossom Like A Flower
  • Tú Hevur Taer Dyrastu Perlur
  • You Have Diamonds
  • I Had In Mind To Stay
  • Epilogue

Besetzung:

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