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bôa: Whiplash (Review)

Artist:

bôa

bôa: Whiplash
Album:

Whiplash

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Rock, Art-Pop, Dreampop, Singer/Songwriter

Label: Nettwerk
Spieldauer: 47:35
Erschienen: 18.10.2024
Website: [Link]

Dass heute – fast 20 Jahre nachdem sich die britische Indie-Rock-Band BÔA mit ihrem zweiten Album „Get There“ aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte – ein neuer Longplayer mit dem beziehungsreichen Titel „Whiplash“ (Schleudertrauma) erscheint, ist einerseits ebenso überraschend wie letztlich auch folgerichtig; denn das Schicksal hielt für die heute verbleibenden Bandmitglieder JASMINE RODGERS, ALEX CAIRD und LEE SULLIVAN eine ganz besondere Überraschung bereit:

Die Laufbahn von BÔA begann bereits 1993, als sich der Gitarrist und Songwriter STEVE RODGERS (der Sohn des FREE- und BAD COMPANY-Frontmannes PAUL RODGERS) und ein paar Freunde zusammentaten, um eine Funk-Band zu gründen.
Nachdem unter anderem der heutige Bassist ALEX CAIRD und STEVE RODGERS Schwester JASMINE als Sängerin und Frontfrau zu dem Projekt gestoßen waren, änderte sich die musikalische Zielrichtung und bereits als die Band – damals in Japan – ihr erstes Album „The Race Of A Thousand Camels“ produzierte (das später in überarbeiteter Form unter dem Titel „Twilght“ international veröffentlicht wurde) waren BÔA bereits eine Indie-Rock-Band. Auf diesem Album befand sich auch die erste Single mit dem Titel „Duvet“, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Jahre 1998 zu einem veritablen Hit geriet.


Genau diese Single war es auch, die im folgenden ein faszinierendes Eigenleben entwickelte, das letztlich dafür verantwortlich ist, dass nach 20 Jahren musikalischer Inaktivität ein neues BÔA-Album erscheint.
Wie konnte das passieren?
Zunächst erlangte „Duvet“ eine gewisse Berühmtheit als Titelsong der erfolgreichen Anime-Serie „Serial Experiments Lain“. In der Folge entstanden dann verschiedene Versionen von „Duvet“, die 1999 auf einer EP namens „Tall Snake EP“ zusammengefasst wurden (der Bandname „bôa“ in der stilisierten Form bezieht sich auf den Namen der Würgeschlange Boa). Später gab es dann noch einen Remix, der schließlich 2003 auf einem Soundtrack der „Lain“-Serie landete.

Allerdings passierte daraufhin lange Zeit nichts. Die Band verabschiedete sich nach der Veröffentlichung der zweiten LP „Get There“ 2004 von der Öffentlichkeit, blieb jedoch mit ihrer Online-Community stets in Kontakt (beispielsweise mit einer Charity Aktion zugunsten des 2011er-Fukushima-Tsunamis).
2018 erschien dann – ohne Wissen der Band – eine japanische Vinyl-Reissue der „Duvet“-Single, die ein erneutes Interesse an dem Track anfachte.
2021 entstand ein weiterer Hype um den Song, als dieser auf TikTok viral ging und bis 2023 in 250.000 Posts verwendet wurde, was wiederum dazu führte, dass „Duvet“ 2023 erneut in die Charts wanderte und die BÔA-Musiker in der jetzigen Konstellation den Song neu einspielten. Bald fragte dann das Plattenlabel bei den Musikern an, ob es denn nicht noch einmal neues Material geben könnte. Schließlich ergriffen Rodgers, Caird und Sullivan diese Gelegenheit, um sich wieder zum Schreiben neuer Songs zusammenzuraufen. So entstand das nunmehr vorliegenden Album „Whiplash“.


Während des Komponierens stellten die Musiker fest, dass sie musikalisch immer noch auf derselben Wellenlänge wie damals agierten, sodass sie in kurzer Zeit mühelos zu für alle befriedigenden Ergebnissen gelangten. JASMINE RODGERS interpretiert das so, dass sie, ALEX CAIRD und LEE SULLIVAN unbewusst wohl unabhängig voneinander an ähnlichen Ideen gearbeitet haben mussten, die sich dann bei der Produktion im Studio mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zu neuen BÔA-Songs zusammenfügten. Auch stilistisch entwickelten sich die neuen Songs elegant in das ambitionierte Artrock-Setting, welches BÔA als Rockband seit jeher auszeichnete.

Im Vergleich wirken die neuen Songs nun kohärenter und runder als die älteren Tracks. Laut Rodgers ist der Grund hierfür, dass die Band heutzutage nur noch aus drei Kernmitgliedern besteht (während es früher 5 waren) und es so mehr Raum gab, die strukturbedingte Komplexität des Materials zu entwickeln – beispielsweise auch dadurch, dass die Songs wie im Falle des monumentalen Empowerment-Songs „Beautiful & Broken“ mit symphonischen Streicherpartien unterlegt und zu epischer Größe aufgeblasen werden konnten. Hinzu kommt, dass JASMINE RODGERS heutzutage überwiegend im Alleingang für die Gitarrenarbeit zuständig ist (denn ihr Bruder Steve hatte sich nicht bereit erklärt, zur Band zurückzukehren), sodass die neuen Tracks eine Spur geradliniger geraten sind, als das früher üblich war.


Natürlich haben sich die Themen, die JASMINE RODGERS in ihren Lyrics behandelt, gegenüber früher verändert.'Selbstfindung' und 'Coming Of Age' waren längst seit 20 Jahren abgehandelt worden, weswegen sich die drei Musiker darauf einigten, dass dieses Mal die Themen Trennungen, Zusammenbrüche und Scheidungen ins Zentrum gestellt werden sollten. Allerdings nie ohne ein Augenzwinkern, denn eigentlich geht es auch in den neuen Songs, wie „Let Me Go“, „Vienna“ oder eben „Beautiful & Broken“ noch immer darum, sich mit einer gewissen Neugier auf Seelensuche zu begeben. Auf „Whiplash“ geschieht das allerdings mit der Option, sich nicht unbedingt optimieren oder finden zu wollen, sondern sich mit den Gegebenheiten, Schwächen und Fehlerchen, die das Leben eben bereit hält, zu arrangieren und abzufinden.


Whiplash“ (Schleudertrauma) nannten BÔA das Album, weil die Produktion der neuen Songs und die sich dadurch ergebenden Umstände wie ein Schock auf die Musiker gewirkt haben. Immerhin wurden sie von diesen Umständen selbst überrascht und mussten innerhalb kürzester Zeit ihr ganzes Leben neu organisieren, weil sie sich bis dahin ja aus dem Musikbusiness zurückgezogen hatten, um andere Erfahrungen sammeln zu können: JASMINE RODGERS studierte Zoologie, ALEX CAIRD bestätigte sich als Maler und Musiklehrer und LEE SULLIVAN konzentrierte sich auf sein Privatleben.

Seltsamerweise schlug sich das Thema 'Schleudertrauma' auf der musikalischen Seite aber nicht in besonders wüsten, lauten Tracks nieder, sondern in Form abgeklärter, altersweiser, schlüssig strukturierter und angenehm entspannter Indie- und Art-Rocksongs, welche zwar ohne weiteres zum bisherigen BÔA-Oeuvre passen, aber durch die Lebenserfahrungen der letzten 20 Jahre eine besondere Tiefe und Emotionalität ausstrahlen. Allerdings auf eine gewissermaßen stoische, gelassene Art.
Dem eigenen Anspruch, ein Album ohne Filler aufzulegen, konnten BÔA mit dieser Attitüde ohne Weiteres entsprechen, sodass „Whiplash“ jede Menge brillanter, potentieller BÔA-Hits bzw. Instant-Klassiker zu bieten hat.


FAZIT: Das neue BÔA-Album „Whiplash“ kommt mit einer solch selbstverständlichen Nonchalance daher, als hätten JASMINE RODGERS, ALEX CAIRD und LEE SULLIVAN die letzten 20 Jahre ununterbrochen miteinander musiziert: Kurzum, als habe es diese letzten 20 Jahre ohne ihre eigene Musik gar nicht gegeben. Dass es hier nicht darum gehen konnte, etwas grundsätzlich Neues erschaffen zu wollen, sondern nahtlos an das musikalische Vorleben anzuschließen, gehört dabei mit zum künstlerischen Konzept. In diesem Sinne erscheint BÔAs Re-Union nicht nur logisch und sinnvoll, sondern fast sogar schon notwendig.

Ullrich Maurer (Info) (Review 69x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 12 von 15 Punkten [?]
12 Punkte
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Tracklist:
  • Let Me Go
  • Crawling
  • Walk With Me
  • Beautiful & Broken
  • Prelude
  • Frozen
  • Vienna
  • Worry
  • Whiplash
  • Strange Few
  • Seafarer
  • Basil
  • Shadow

Besetzung:

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