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Blackberries: Vorwärts Rückwärts (Review)

Artist:

Blackberries

Blackberries: Vorwärts Rückwärts
Album:

Vorwärts Rückwärts

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Deutsch- sowie englischsprachiger Stoner- und Kraut-Rock

Label: UNIQUE Records/Schubert Music Europe
Spieldauer: 43:15
Erschienen: 26.08.2022
Website: [Link]

Wenn eine Band aus Solingen kommt, dann erwartet man vielleicht mit ein wenig Ironie und Metaphorik, dass sie wortwörtlich messerscharf und absolut rostfrei drauflosrocken und dabei so etwa alle vorhandenen Kräuterchen zu Brei verarbeiten.
Weit gefehlt!
Denn die Solinger Indie-Rocker BLACKBERRIES lieben jedes Kräuterchen, besonders den Krautrock, setzen darum nur zu gerne auch in ihrer Musik eine gehörige Portion Retro-Rost, inklusive Orgel, Mellotron und Synthesizer, an und zelebrieren statt Heavy Metal viel mehr das Wechselhafte, Psychedelische, Indierockende und mitunter auch bedrückend Melodramatische, während ihre Texte verstärkt die dunklen Seiten der Natur und des menschlichen Daseins beleuchten anstatt sich irgendwelcher Gefühlsduselei hinzugeben. Und erstmals besitzen sie sogar den Mut, auf „Vorwärts Rückwärts“ nicht nur einen deutschen Album-Titel zu wählen, sondern auch einen ganzen Song in deutscher Sprache und einen weiteren in der Kombination aus Deutsch und Englisch zu präsentieren.
Da passt nur zu gut, dass das retro-krautige Brombeer-Quartett aus Solingen sein Album mit „Modern Musketeer“ als die modernen Musketiere beginnt, denn die kamen ja schließlich auch im Viererpack daher – getreu dem Motto: Einer für alle – Alle für einen!

Zudem möchte man kaum glauben, dass wenn auf einem Album mit insgesamt neun Songs sich zwei gleich mit der Kriegsthematik beschäftigen, diese nicht von dem bedrückenden Ukraine-Krieg inspiriert sind. Ebenso weit gefehlt, denn „After The War“ und „War Machine“ entstanden, genauso wie das gesamte Album, live, gemeinsam im kompletten Bandkontext in einem Studio-Raum eingespielt, zu Zeiten, die zwar von einer bedrückenden Pandemie und Klimakatastrophen, aber noch nicht dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt war.
Auf diese Weise gewinnen beide Songs, die einerseits den blinden Gehorsamkeitswahn von Soldaten beim befehlsmäßigen Töten („No words can bring back all the people / No words can undo all the guilt / Killed people stay killed“) und andererseits die einen überrollende „War Machine“ („They will leave their houses in fright / In the dark under the pale moonlight // War machine“) zum Thema haben, eine extrem traurige Aktualität, so als hätten die BLACKBERRIES ihre erschreckende Vorahnung einfach zu spät zum Ausdruck bringen können, als uns der Kriegsirrsinn bereits gefangen hatte.

Faszinierend wird’s spätestens am Ende der LP-A-Seite mit dem deutschen „Vorwärts“, einem bitterbösen Stück über Erfolgstypen, die für ihren Erfolg über Leichen gehen, nur um genug Kohle zu scheffeln: „Mein Weg fühlt mich gezielt nach oben / Ich entwickel' mich weiter, rückwärts // Scheiße ist das neu Gold“. Hier gibt’s dann eine herrlich ausufernde Krauteinlage als abschließendes Instrumental, das unglaublich viel von den Krautrockern NEU! und den Solo-Aktivitäten ihres Gitarristen MICHAEL ROTHER hat, als der sich in 'Sterntaler'-Manier seiner 'Katzenmusik' zuwandte.

Der zweite Song mit anteilweise deutscher Sprache ist von ganz anderem Kaliber, denn er wird nach anfänglichen THE SMITHS-Erinnerungen zur rockigsten, psyche-punkigen Nummer inmitten der doch insgesamt verhaltenen, ruhigeren Stücke, die sich auf „Vorwärts Rückwärts“ befinden. Denn nun geht’s wirklich vorwärts, auf brachiale Art, denn hier weiß jemand nicht, wo's wirklich hingeht, Hauptsache „Vorwärts / Immer weiter vorwärts...“ – und ob da am Ende der Untergang oder das Himmelreich auf einen wartet, scheißegal, Hauptsache: „Ich geh vorwärts, immer weiter vorwärts…“

Was dabei herauskommen kann erfahren wir übrigens auch auf der LP-B-Seite, wenn wir uns ins „The Moor“ begeben, welches die Zerstörung der Natur zum Inhalt hat und mit der nicht wirklich neuen Erkenntnis aufwartet: „The biggest danger ist the human race“!

Am Ende steuert das Album allerdings auf einen wunderschön versöhnlichen Schluss hin – einen wortwörtlich vielfarbigen und, lauscht man nur dem zärtlichen Gesang, auch nach zwei Kriegssongs, einem absolut friedfertigen.
Mit „A Life In Colour“ werfen die BLACKBERRIES abschließend die Frage auf: „Do you live our life in colour / Or is it only black and white?“

Die Antwort darauf suche jeder nunmehr bei sich selbst und genieße dabei „Vorwärts Rückwärts“, den manchmal kuscheligen, aber trotzdem immer unbequemen Kraut-Indie-Dream-Retro-Pop der messerscharfen, aber nicht wirklich schnittigen Band aus Solingen. Glatte Schnitte setzen andere, die BLACKBERRIES flackern lieber im krautigen Sixties- und Seventies-Psyche.

FAZIT: Die Solinger Indie-Kraut-Band BLACKBERRIES beweist viel Mut, wenn sie ihrem größtenteils englischsprachig gesungenem Album den deutschen Titel „Vorwärts Rückwärts“ verpassen und deutlich dunklere, nachdenklicher Töne als auf ihren Alben zuvor anschlagen. Zudem frönen sie unverkennbar ihrer Leidenschaft für den Krautrock auch weiterhin und mischen sich in ihren Texten klar ein – egal, ob sie dabei Klimakatastrophe oder Krieg aufgreifen. Und dass diese Musik auch auf Vinyl samt bedruckter Innenhülle, auf der auch die Texte nicht fehlen, daherkommt, sollte allen Plattensammlern, in deren Sammlung ein paar Krautrock-Platten stehen, höchster Kaufanreiz sein. Der Mut, den die vier Solinger beim gemeinsamen Einspielen dieses Albums an den Tag gelegt haben, hat sich eindeutig gelohnt!

PS: Und da das Album gleich zwei Redakteure beschäftigt hat, gibt's hier noch die Perspektive von DOMINIK MAIER zu lesen, der "Vorwärts Rückwärts" mit 11 Punkten bewertet. Am Ende wäre ein Durchschnitt bei den Bewertungen von 11,5 Punkten herausgekommen - doch lest am besten selbst:

Mit Themen wie Krieg und Klimawandel bewegen sich BLACKBERRIES auf „Vorwärts Rückwärts“ zwar am thematischen Zahn der Zeit, das Problem dabei ist aber, dass solche Themen eben erstens diskutabel sind und es niemals nur die 'eine' oder 'andere' Seite bei deren Beleuchtung gibt und zweitens, dass es doch einen gewissen Schatten über die eigentlich durchweg angenehme Musik legt.
Wobei die Conclusio von „After The War“ so wahr wie traurig ist: „Killed People stay killed.“ Musikalisch klingt der Song zwar durchaus melancholisch, vermittelt aber trotzdem eine gewisse Leichtigkeit, hier und da verbreiteten die Musiker gar funkige Vibes, was den Song in Gänze doch recht warm klingen lässt.

Mit den beiden Titelstücken wechseln die BLACKBERRIES nicht nur die Sprache, sondern stellen auch zwei inhaltlich miteinander verbundene Kommentare zum aktuellen Zeitgeist zur Diskussion.
Wobei sich doch auch immer wieder zeigt, dass eben jedes Thema mehrere Seiten hat. Ja, die Gesellschaft ist in großen Teilen von Scheinheiligkeit und Egoismus durchsetzt, was einer gesunden Entwicklung kaum zuträglich sein kann, aber die Gier nach immer mehr findet sich im kleinen wie im großen, wobei echte Lösungsansätze konsequent ignoriert und überhört werden, denn was am Ende immer zählt, ist Profit und Kontrolle.
So schwarzmalerisch diese Themen sind, so gegensätzlich ist auch die Musik.
Während „Rückwärts“ eher in krautigen und ein bisschen nervös-trippelnden Sphären unterwegs ist, klingt das Gegenstück „Vorwärts“ gehetzter, aber auch positiver. Vielleicht liegt das aber auch an der rockigeren Ausrichtung, die eher dazu anregt sich zu bewegen und weniger von vertonter Lethargie und Trauer zeugt.

In „The Moor“ wabern die Synthies fast nervenaufreibend umher, was irgendwie zum alles beherrschenden Thema der Klimahysterie passt. Wobei im vorliegenden Text keine erkennbare Lösung zu finden ist oder Stellung bezogen wird, aber eine positive Botschaft lässt sich ebenfalls nicht erkennen.

„A Life In Colour“ beschließt das Album dann aber doch ein klein wenig hoffnungsvoller. Zumindest lassen die klickende Drum Machine und die sanften Melodien Gedanken an eine positive Zukunft eher zu als das vorherige Material.
Irgendwo flackert immer Licht, es muss nur gefunden werden. So könnte die abschließende Botschaft des Songs lauten.

FAZIT: Wirklich innovativ geschweige denn weltbewegend ist die textliche Ausrichtung von „Vorwärts Rückwärts“ nicht und auch musikalisch ist das Album kein revolutionäres Leuchtfeuer. Vielmehr geben die BLACKBERRIES einen durchaus kritischen, aber auch diskutablen Kommentar zum aktuellen Zeitgeist ab, der in großteils eingängige Musik gekleidet wird.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2367x gelesen, veröffentlicht am )

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12 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (21:44):
  • Modern Musketeer (5:56)
  • After The War (4:49)
  • Time To Move On (4:12)
  • Rückwärts (6:47)
  • Seite B (21:31):
  • Double Walker (3:25)
  • The Moor (4:25)
  • War Machine (4:53)
  • Vorwärts (4:54)
  • A Life In Colour (3:54)

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