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Guru Guru: Krautrock Legends Vol. 2 - Live At Rockpalast 1976 + 2004 (Review)
Artist: | Guru Guru |
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Album: | Krautrock Legends Vol. 2 - Live At Rockpalast 1976 + 2004 |
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Medium: | DVD | |
Stil: | Krautrock |
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Label: | MIG Music | |
Spieldauer: | 124:00 | |
Erschienen: | 26.04.2013 | |
Website: | [Link] |
1968?
Da war doch was?
Genau!
Das Attentat auf Rudi Dutschke erschüttert in Westberlin und Westdeutschland die Studentenbewegungen und zeigt ihnen, dass es an der Zeit ist, sich auch radikal zu wehren.
Im Osten dagegen sind es linke Radikale, die ein ganzes Land ihrer Ideologie unterwerfen und es seit bereits 7 Jahren hinter einer Mauer in ihrem Bonzen-Staat einsperren und längst beweisen, dass dieses linke Konzept in seiner DDR-Umsetzung zumindest nicht gelingen kann, sondern bereits jede Menge Mauer-Opfer fordert.
Und die Journalistin Ulrike Meinhof erklärt öffentlich: „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht [...] Die Grenze zwischen verbalem Protest und physischem Widerstand ist bei den Protesten gegen den Anschlag auf Rudi Dutschke […] erstmalig massenhaft, […] tatsächlich, nicht nur symbolisch – überschritten worden.“ Eine Kriegserklärung an den manipulierten und manipulierenden „Springer“-Staat von korrupten Politikern und wirtschaftlichen Größenwahnsinnigen, die den sozialen Frieden dem Großkapital opfern und der Roten-Armee-Fraktion (RAF) endgültig Tür und Tor öffnen!
Doch es gibt auch eine „musikalische Kriegserklärung“: GURU GURU gründen sich als der musikalische Teil der Studentenbewegung und treten den konservativ-bürgerlichen Moralvorstellungen gehörig in die Weichteile, die man nicht öffentlich zeigen durfte und schnuppern statt Weihrauch viel lieber Drogenwölkchen, getreu ihrer Lebensphilosophie: „Täglich fit mit ein bisschen Shit“!
1976!
Da war doch was?
Genau!
ULRIKE MEINHOF, nunmehr eine der gefürchtetsten linksradikalen RAF-Terroristinnen, erhängt sich in ihrer Gefängniszelle in Stuttgart-Stammheim und löst damit eine politische Tragödie aus, die nicht nur die Studentenbewegung, sondern auch die Kultur und Rockmusik erschüttert.
Die DDR bürgert währenddessen den Liedermacher WOLF BIERMANN aus und stellt ROBERT HAVEMANN dauerhaft unter Hausarrest – ein Beweis dafür, dass Kunst und Wissenschaft auf sozialistischem Boden längst ein ideologischer, der Mauer-Diktatur unterworfener, aber kein freiheitlich-selbstbestimmter Bestandteil mehr sind.
Aber endlich werden auch die „musikalischen Kriegserklärer“ aus dem Krautrock massenhaft wahrgenommen: GURU GURU geben ihr erstes, nicht nur denk-, sondern auch sehr merkwürdiges Konzert im Rockpalast im Kölner WDR-Studio L, dessen Ziel der Guru-Guru-Kopf MANI NEUMEIER eindeutig mit der Feststellung umreißt: „Die Leute sollen vor lauter Spaß endlich mal ihre Schuhe und Unterhosen in die Luft werfen und zeigen, dass sie völlig enthemmt sind!“ Ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, davon darf sich ab sofort jeder Interessierte auf „Krautrock Legends Vol. 2“ selbst überzeugen!
2013!
Da war doch was?
Genau!
Zwei Länder, die unvereinbar erschienen, sind vereint, doch in den Köpfen vieler existieren noch immer Mauern, die man nicht so einfach abreißen kann, sondern immer mehr durch Ungerechtigkeiten Stein für Stein höher zieht.
Und es gibt noch immer, besonders in Sachsen, Verhältnisse, die einen verdammt an die 76er-Zeiten erinnern und den Schreiber dieser Zeilen wegen seiner oftmals sehr deutlichen Worte sogar in den angepassten Augen ehemaliger Mitläufer und Fähnchen-in-den-Wind-Hänger als sexistischen und radikalen Nichtmitmacher dastehen lassen – nur weil er 89 auf die Straße gegangen ist, statt hinter der Gardine abzuwarten.
Doch GURU GURU entfachen in ihm endlich wieder das Feuer (Selbst wenn es nur um eine Konzertkritik auf DVD geht!), das ihm die alten Kader, die wieder in Amt und Würden sind und auf ihre Weise plötzlich so toll in dem „neuen System“ funktionieren, den Krieg erklären, den sie selber genießen, weil sie genau diejenigen in ihren mächtigen Positionen wieder bekämpfen können, die sie zuvor als kleingeistige Ideologie-Wichser abzuschießen versuchten. Was ihnen damals nicht gelang, sollte es ihnen nun wirklich gelingen?
Leider ja!
Die Hinter-Gardinen-Verstecker werden zu Gardinen-Predigern. Sie sind wieder da und fühlen sich so unglaublich wohl neben allen „Rattenfängern“, die einstmals von GURU GURU besungen wurden!
Und sie beweisen mit dieser endlich veröffentlichten DVD, dass es wieder an der Zeit für solche Krautrockbands mit ihren auch politischen Statements wie GURU GURU ist.
„Gestatten, hier spricht der Elektro-Lurch!“
Eigentlich müssten GURU GURU schon längst im „Guiness Buch der Rekorde“ stehen! Und zwar mit dem Eintrag: „GURU GURU waren die erste deutsche Band, die es schaffte, im Rockpalast aufzutreten!“ 37 Jahre später gibt’s endlich auch zum Beweis dafür die – ich sag's schon mal vorab – fantastische DVD, die dieses wahre Bühnenspektakel für immer und ewig auf einem Silberling bannt. Und während der alte Krautrock-Fan sein diesbezügliches Glück kaum fassen kann, bekommt er zusätzlich noch als konzertante Beigabe den zweiten Rockpalast-Auftritt dieser ehemals „linksradikalen“ Krautrocker, die seit ihrer Gründung 1968 gegen spießbürgerliche Kleingeister mit der Band-Weisheit: „Immer Spaß am grünen Gras“ auftreten, aus dem Jahr 2004 geboten. Und so sehr sich auch das biologische Verfallsdatum 28 Jahre später bei den zwei vom 76er Konzert verbliebenen NEUMEIER & SCHAEFFER auch abzeichnet, ein musikalisches Verfallsdatum gibt’s bei GURU GURU garantiert nicht, auch wenn ausschließlich die „Elektrolurch-Mutation“ die einzige Überschneidung aus beiden Konzerten darstellt. Übrigens wird es die beiden Konzerte ausschließlich auf DVD geben, nicht aber auf Audio-CDs – eine kluge Entscheidung! Denn wer sich nur einmal diese Mitschnitte anschaut, der wird sehr schnell erkennen, dass nicht nur die Live-Musik von GURU GURU es in sich hat, sondern besonders auch das verrückte Auftreten der Musiker, die sich regelrecht zwischen Genie und Wahnsinn, wie man es bis dahin vielleicht nur noch von einem FRANK ZAPPA kennt, bewegen.
In dem knapp zweiminütigen Interview auf der DVD, wo Neumeier & Schaeffer gefragt werden, was für eine Art von Musik sie machen, sind die Antworten der beiden nicht nur vielsagend, sondern bringen die Musik, die uns bei den beiden Konzertmitschnitten erwartet, perfekt auf den Punkt. Neumeier spricht davon, dass er aus dem Free-Jazz kommt, aber bei GURU GURU zusätzlich die Einflüsse von JIMi HENDRIX, BOB DYLAN, THE WHO & den STONES immer stärker einfließen: „Uns macht es Spaß, in verschiedenen Stilarten rumzuexperimentieren.“ Den Spaß dürfen wir in jeder Minute dieser beiden Konzertmitschnitte genießen – womit wohl auch klar wird, dass (zumindest aus meiner Sicht) im Jahr 2013 einer der besten Rockpalast-Konzertmitschnitte aller Zeiten endlich das Licht dieser immer weniger verrückten Musikwelt erblickt!
Seltsam nur, dass sich der Hörer am Anfang des 76er Konzert-Mitschnitts verdammt an VAN DER GRAAF GENERATOR, dank des exzessiven Saxofon-Gewitters von SCHAEFFER, erinnert fühlt. Doch man kann sich bei diesen beiden Konzertaufzeichnungen erinnern, an wen man will. Jegliche Erinnerung wird über den Haufen geworfen, wenn ein neuer Song, ein neues (Musik-)Unwetter mit brachialem Schlagzeug-Donner und grellen Gitarren-Blitzen über einen einprasselt.
Allein ein Song wie „Rattenfänger“, der 1976 die krankhafte, wie ein Krebsgeschwür um sich greifende, TV-Schizophrenie mit einem provokanten deutschen Text angreift, ist es wert, noch heute weitergedacht zu werden. Denn nun haben die Rattenfänger uns längst entführt in ihren medialen Manipulationszirkus, der mit einem Seitenhieb von Neumeier und Schaeffer bereits vor beinahe 40 Jahren attackiert wird. Den verhaltenen Applaus kommentieren die beiden mit: „Ihr klatscht aber brav.“, „Ihr klatscht aber schön brav! Das liegt bestimmt an eurer Erziehung!“ … Und zack, die biedere Wohlstandsgesellschaft mit ihren kleingeistigen (oder kleinbürgerlichen) Werten bekommt eins von den Hanf-Hosen-Trägern auf die Fresse, die sich längst von diesem Scheinwohlstand verabschiedet und in einem Forsthaus, abgeschieden in der Natur leben, um sich und ihrer Musik selbst treu sein zu können. Eine Erkenntnis, die wohl heutzutage wichtiger ist als jedes Wissen über die Effektivität von SMS-Abkürzungen.
Das „Ooga Booga Spezial“ klärt uns dann über den Wahnsinn der faszinierenden Comics von ROBERT CRUMB auf und verarscht nach einem Schlagzeug-Solo mit einer Mitsingaufforderung das „so gut erzogene Publikum“ völlig, um es dann mit Jodeln und Akkordeon zu beweisen, dass sie sogar zu Volksmusik ausrasten können. Man muss es ihnen nur abverlangen. Und ganz nebenbei gibt’s noch jede Menge Tschibo-Werbung.
Abgefahren?
Abgefahren!
Diese Partizip erhält mit der musikalischen GURU-GURU-Interpretation eine völlig neue, noch „abgefahrenere“ (Ha, diesen Komparativ gibt’s gar nicht!), nein sogar die allerabgefahrenste (Ha, diesen gesteigerten Superlativ gibt’s erst recht nicht!) Bedeutung! GURU GURU machen eben das möglich, was eigentlich als unmöglich erscheint – was dann natürlich der folgende „Bossa Nova“ endgültig bestätigt.
Am Ende des 76er Konzerts erscheint am lustigsten das Publikum, das deutlich überfordert erscheint … nicht nur mit der Musik, sondern auch dem Intellekt dieser Band, die mit „Tomorrow“ locker einem Horizont entgegenschwebt, dem sie ihren Zuhörern, so lang deren Haare auch sein mögen, (noch) nicht eröffnen können und die heute wahrscheinlich in irgendwelchen leitenden Funktionen selbstverliebt ihren Untergebenen erklären wollen, dass sie mit verbindenden Tralala-Gesängen und gemeinschaftlichem Arschwackeln den universellen Teamgeist präsentieren, der am Ende nichts Anderes als das totale Ausschalten jeglichen guten Geschmacks ist. „Elektrolurch“, das letzte Stück des 76er Konzerts hält denjenigen, die heute vielleicht Schulen leiten, genau den Spiegel vors Gesicht, den sie zuvor aus Protest immer Anderen vor ihre selbstverliebte Visage hielten. Zum Glück ist diese DVD wohl erst im Jahr 2013 so wichtig, dass man sie in dieser liebevollen Gestaltung veröffentlicht – denn sie schreit regelrecht nach denjenigen, die nicht ihre Turnschuhe ausgezogen haben, um in der Politik als ehemals pazifistischer Außenminister Kriegen zuzustimmen, sondern endlich wieder ein Paar Jesus-Latschen überzustreifen und von seinem Kreuzchen auf diejenigen zu scheißen, die ihre Ideale in Boss-Anzügen an den Nagel hängten. Bei GURU GURU gilt nicht „Make Love, Not War“, sondern „Fuck Off – be 'wahr'“!
Für diese Erkenntnis braucht man kein GURU zu sein, sondern nur ein zweites GURU hinzuzufügen. Ich hoffe, dass ich das verstanden habe, was mir diese Band auch heute noch musikalisch zu vermitteln versucht. Du bist das, was du hörst – aber nicht das, woran du glauben sollst und was man dir weis zu machen versucht! Und jeder, der den Unterschied zwischen einem „M“ und einem „F“ versteht, der weiß spätestens seit GURU GURU und Uli Hoeneß, was das wahre Leben ausmacht und wie schnell man von einer (M)erkel beim Handdrücken mit einem Hoeneß aus Grund eines Champions-League-Sieges zum (F)erkel wird!
Schon aus diesem Grunde hätte ich, wenn wir Live-Musik mit Punktwerten versehen würden, hier einen Höchstwert verteilt!
FAZIT:
„Wieso macht ihr eigentlich Musik?
Weil man dabei so schön ausflippen kann!
Was macht ihr eigentlich, wenn ihr einmal älter seid?“ (aus: „Elektrolurch Mutation“)
Willkommen in der Welt von GURU GURU – der Eintritt ist nur für Freigeister frei, aber nicht für diejenigen, die längst ihre Ideale verkauft und sich dem unterworfen haben, was sie zuvor bekämpften. Schlachtet nicht Orwell, sondern alle Merkels und Ferkel dieser Welt, für die der „Farm der Tiere“-Grundsatz der Schweine gilt: „Alle sind gleich, aber wir sind gleicher!“
Vielleicht öffnet euch diese „uralte“ DVD endlich die Augen, während noch immer ein paar langhaarige Zeitgenossen glauben, dass Beifallsbekundungen nicht aus Überzeugung, sondern aus Erwartung und Befehl, wie die Mai-Vorbeimarschierer an den Honecker-DDR-Tribünen, wirklich bedeutungsvoll wären. Ihr habt nichts begriffen – sucht endlich wieder eure Hanf-Blatt-Aufnäher raus oder versteckt euch hinter euren sündhaft teuren Gardinen! Ihr habt die Wahl. Und wer noch unsicher ist, sollte sich von GURU GURU dabei helfen lassen.
PS: Und wer glaubt, ein alter (K)Ossi wie ich, wäre ohne den Einfluss von der Faszination GURU GURUs groß geworden, der irrt sich. Denn auch wir hatten eine ähnliche Ausgabe „Made In GDR“, die den wirklich passenden und zugleich wegweisenden Namen DekaDANCE besaß!
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Bild: 4:3
- Ton: PCM Stereo
- = Studio Köln 04.06.1976 =
- Einmarsch
- Salto Mortadella
- Banana Flip
- L. Torro
- Rattenfänger
- Ooga Booga Spezial
- Bossa Nova
- Night Bear
- Tomorrow
- Medley
- a. Elektrolurch-Mutation
- b. Tango Fango
- Medley
- a. Woman Drum
- b. All You Want
- (Laufzeit: 77 Minuten)
- = Harmonie Bonn, 21.12.2004 =
- Read Air
- Il Maestroso
- Living In The Woods
- Izmiz
- Tribes & Vibes
- Kleines Pyjama
- Moshi Moshi
- Incarnation Stomp
- Elektrolurch-Mutation
- (Laufzeit: 45 Minuten)
- Interview aus dem Jahr 1976
- (2 Minuten)
- Bass - Jogi Karpenkiel, Peter Kühmstedt
- Gesang - Roland Schaeffer, Mani Neumeier, Jogi Karpenkiel, Josef Jandrisits, Peter Kühmstedt, Luigi Archetti
- Gitarre - Roland Schaeffer, Josef Jandrisits, Luigi Archetti
- Schlagzeug - Mani Neumeier
- Sonstige - Roland Schaeffer (Saxofon & Nadaswaram)
- Krautrock Legends Vol. 2 - Live At Rockpalast 1976 + 2004 (2013)
- Three Faces Of Guru Guru – 1970-2021 (2023)
- The Incredible Universe Of Guru Guru (2023) - 13/15 Punkten
- Tango Fango (2024er-Remaster des 1976er-Albums) (2024)
- Globetrotter (2024er-Remaster des 1977er-Albums) (2024)
- Live '78 (2024er Remaster des 1978er-Albums) (2024)
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keine Interviews