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Interview mit TIR (28.03.2021)

TIR

Manchmal kommt es bunter als gedacht: Zum Beispiel, wenn ein aus der Türkei nach Australien ausgewanderter Musiker mit einem deutschen Musikfreund über sein neues Album spricht, das einerseits einer antiken persischen Metropole gewidmet ist, und andererseits Keyboard-Künstlern aus Schweden, Norwegen und Österreich huldigt - wie auch den Meistern der düsteren Melancholie aus der Rhön, namentlich Empyrium. Oytun Bektas legte insofern kürzlich mit "Persepolis" ein Album vor, das zahlreiche vertraute Stilelemente beherzt miteinander verbindet und dem Dungeon Synth neue Nischen eröffnet.

Hi Oytun, schön, mit Dir sprechen zu können! Ich hoffe, die Lebensumstände in Australien ermöglichen es Dir, Dich TIR so viel zu widmen, wie Dir vorschwebt?

Oytun: Hey Thor, ich freue mich, dieses Interview mit dir zu führen. Unser Umzug von der Türkei nach Australien vor einem Jahr brachte allerhand Positives und Negatives mit sich. Es war eine herausfordernde und ermüdende Zeit, in der ich nichtsdestotrotz zwei Veröffentlichungen verwirklichen konnte, und zwar eine EP und eine Compilation. Insofern bin ich mit der Gesamtsituation schon ziemlich glücklich und kann mich jetzt auch richtig auf die Arbeit mit TIR konzentrieren. Ich schätze, dass ich in diesem Jahr mehr Zeit darin investieren kann als im letzten.

Du hast mich mit Deinem neuen Album "Persepolis" in mancherlei Hinsicht überrascht: Es ist ja im Grunde genommen gar kein neues Album, sondern eine neue Interpretation eines bereits veröffentlichen Albums, dessen Lieder überarbeitet wurden und einige neue Nummern hinzukamen. Das Endergebnis transzendiert die Stilgrenzen dessen, was dieser Tage als "Dungeon Synth" beschrieben wird. Lass uns also mal ins Detail gehen: Warst Du mit "The Vanished Civilization Of Xattoth" nicht zufrieden, oder warum hast Du Dich entschlossen, ein Album zu überarbeiten, das zuvor schon sehr eigen war?

Darauf kann ich dir verschiedene Antworten geben. Zunächst sollte ich anmerken, dass die Arbeit an "The Vanished Civilization Of Xattoth" für HDK [Heimat der Katastrophe, ein eigenwilliges Tape-Label -TJ] in jeder Hinsicht eine perfekte Erfahrung war. Musik für ein vom Team verfasstes Abenteuer zu schreiben, war ein Vergnügen für mich. Die Kassette war bereits am ersten Tag ausverkauft, und das gesamte Feedback war positiv. Als ich mich dem Album nach einer Weile wieder zuwandte, kam der Eindruck auf, dass da noch ein paar symphonische Strukturen fehlen könnten. Zudem hatte sich eine größere Nachfrage nach physikalischen Tonträgern ergeben. Ich sprach mit Peter, dem Manager von Brilliant Emperor Records, darüber, das Album neu zu mastern und noch mal zu veröffentlichen. Im Anschluss daran, Ende letzten Jahres, nahm ich die Arbeit auf an dem Album, das "Persepolis" werden sollte. Auch eine Zusammenarbeit mit dem erfolgreichen Musiker Varkana kam dabei zustande, und wir nahmen einen weiteren Bonus-Song auf. Der Sound, der bereits zuvor stark war, hat dadurch noch mal gewonnen. Die Verkäufe von Kassetten und CDs, sowie digitale Verkäufe sprechen zudem eine deutliche Sprache.

Das Klangspektrum reicht über herkömmlichen Dungeon Synth hinaus, und Einflüsse aus Ambient-, Folk- und Soundtrack-Musik sind ebenso erkennbar wie Deine Begeisterung für Emyprium und Burzum, die bereits auf älteren Veröffentlichungen hervorstach. Mir gefällt diese Vielfalt, und ich schätze, dass sich auch andere über etwas Abwechslung in einem Genre freuen, in welchem es an orthodoxen Keyboard-Soundtracks im Stile der alten Schule des Dungeon Synth wahrlich nicht mangelt...

Ich habe meine Musik niemals so glasklar abgegrenzt, obwohl ich definitiv das Gefühl habe, dass ich das Antlitz des symphonischen Black Metal und der dunklen Kunst in meiner Musik spiegele. Doch bevor ich mich auf ein bestimmtes Genre festlege, beschäftige ich mich lieber mit Natur, Geschichte, Mystizismus oder Falschheit. Bereits auf meinem ersten Album ging es mir nicht darum, den klassischen Dungeon Synth Sound zu verwirklichen. Von Zeit zu Zeit bringe ich eben auch Elemente aus der Neoklassik oder dem Dark Folk unter. Die Kraft von Vargs und Markus’ künstlerischem Ausdruck hat meine Musik immer schon beeinflusst. All diese Einflüsse kommen in TIR zur Entfaltung und tragen hoffentlich dazu bei, dass am Ende etwas mehr als die nächste stinknormale Musik dabei herumkommt. 

Das Album "Persepolis" wurde von Deiner Reise in den Iran inspiriert, und ich gehe davon aus, dass Du die Anlage besucht hast, welche heute zum Unesco Weltkulturerbe gehört und in vor-islamische Zeit zurückdatiert. Wie lässt sich der Effekt einer solchen Erfahrung auf Deine Musik beschreiben? Hattest Du beim Einspielen der Lieder bestimmte Bilder vor Augen?

Bei meiner Reise in den Iran war mir nichts wichtiger als der Besuch von Persepolis. Ich habe dort die Jahrtausende alte Zivilisation, ihre Kunst und Macht wahrgenommen. Vor allem kann ich nicht Darius’ Grab und die Rücken an Rücken sitzenden Teufelsfiguren vergessen. Interessant für mich war, dass all diese Überbleibsel recht gut erhalten sind. Wenn ich zurückschaue, intensivieren sich diese Eindrücke dank Photographien. Jeder Song auf dem Album widmet sich einer der Erfahrungen, die ich in den Straßen von Persepolis gemacht hatte: Der aufkommende Wind, die heftige Trockenheit, und das Kriegsgeschrei aus ferner Vergangenheit - das alles findet sich auf dem Album.

Du hast TIR mit offensichtlicher Anlehnung an die Nordische Mythologie ins Leben gerufen, doch ein Konzeptalbum über eine alte persische Stadt verschiebt den Fokus - gerade im Underground - gehörig. Ich hoffe, dass Du bereits ermutigende Reaktionen erhalten hast, weil Du die Hörer in einen anderen Teil der Mythen-reichen antiken Welt einlädst?

Wie ich bereits zuvor erwähnte, spielen historische Begebenheiten eine zentrale Rolle in den mit TIR behandelten Themen. Während ich anfangs die Nordische Mythologie heranzog, greife ich derweil Einflüsse aus den unterdrückten Ländern des Mittleren Osten auf, und die Noblen können sich noch erinnern, woher der Name "Tir" ursprünglich stammt - nämlich aus Zentralasien. Wie die allermeisten, wirst du wohl kaum darauf kommen, dass "Tir" - anders als das im Wortlaut gleiche "Tyr" - aus dem Türkischen kommt, wo es so viel bedeutet wie singulär oder alleine. Ich würde dieses Momentum, dass ich mit "Urd, Skuld, Verdandi" und "Persepolis" erreicht habe, einmal mehr mit einer zentralasiatischen Erzählung krönen wollen. Vielleicht versuche ich das mit meinem Nebenprojekt Ruin Of Xibalba.

Du wurdest für die dritte Ausgabe des herausragenden Dungeon Synth Zines interviewt, dem meiner bescheidenen Meinung nach vielversprechendsten Fanzine dieser Tage, zumindest im Hinblick auf klassische Qualitäten wie Enthusiasmus für Underground-Freaks, Neugier, Leidenschaft und eine dicke Portion Humor - natürlich schwarz auf weiß gedruckt. Als jemand, der Mortiis zum ersten Mal 1996 für ein Interview kontaktierte (das abgelehnt wurde), finde ich es sehr bemerkenswert, wie sich das Dungeon Synth Genre im vergangenen Jahrzehnt entwickelt hat. Wie nimmst Du das wahr?

Ich kann mit dieser Entwicklung natürlich gar nicht mehr Schritt halten, wo jetzt in jedem Land der Erde Bands begonnen haben, diese Musik zu spielen. Die Qualität hat darunter sehr gelitten und das gibt dem Ganzen doch einen ziemlich faden Beigeschmack. Ich schätze, dass Dungeon Synth daher von vielen als ein Genre wahrgenommen wird, in dem zu viele amateurhafte Veröffentlichungen erscheinen, in die nicht genug Mühe investiert wurde. Es stimmt mich traurig zu erleben, dass ein Großteil der Musik ihre mysteriöse und dunkle Aura eingebüßt hat. Für mich hat zum Beispiel Black Metal vor allem in den Neunzigern stattgefunden, doch einen echten Popularitätsschub habe ich in den vergangenen zehn Jahren erlebt - doch das ist nicht Metal desselben Kalibers! Wahrscheinlich taucht dieses Dilemma nahezu überall auf. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Qualität und Kunst nicht proportional mit der Technologie zunehmen!

Bald nimmst Du an einem Dungeon Synth Festival teil, das online stattfinden wird, richtig? Was kannst Du uns bereits darüber verraten?

Ich bin glücklich, dass mir diese Bühne angeboten wird, die ich mich anderen Künstlern teilen darf, die bereits unzweifelhaft bewiesen haben, dass ihr Erfolg nicht von ungefähr rührt. Vor einigen Monaten, als dieses Event für Australien und Neuseeland produziert wurde, betrat ich bereits schon einmal die Bühne. Am Tag darauf erhielt ich bereits die Anfrage, an dieser Neuauflage teilzunehmen, was mir eine Ehre ist, und ich glaube, das wird eine schöne Angelegenheit. Für TIR habe ich gemeinsam mit Orko Entertainment eine schöne Darstellung vorbereitet, um von diesem Ende der Welt den dunklen Künsten zu huldigen. Dazu lade ich jeden ein: northeastdungeonsiege.com

Gibt es einen Ort, an dem es ein Traum wäre, eines Tages mit TIR zu spielen?

Als Soloprojekt bin ich wirklich nicht darauf aus, live aufzutreten, doch wenn mich diese Idee eines Tages nicht mehr loslassen sollte, dann wären die Wälder Rhön mit Sicherheit meine Wahl.

Was steht als nächstes mit TIR an?

Tatsächlich war "Persepolis" die letzte Abzweigung vor der Brücke, und TIR wird ab nun eine neue Phase einläuten. Vielleicht kann ich sagen, dass es nun dorthin geht, wo es sein sollte. Im Augenblick kann ich mir schwerlich nähere Details dazu abringen, doch ich werde versuchen, beim nächsten Album konkreter zu werden und auch die Natur zum Sprechen zu bringen!

Danke Dir, Oytun, für Deine Zeit!

Danke dir für dein Interesse.


TIR wird außerhalb unserer Webseite übrigens “Tir” geschrieben, wie Oytun im Hinblick auf die Bedeutung des Namens erläuterte.

 

Thor Joakimsson (Info)
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