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Discipline: Breadcrumbs (Review)

Artist:

Discipline

Discipline: Breadcrumbs
Album:

Breadcrumbs

Medium: CD/Download/LP
Stil:

Progressive Rock

Label: Progrock.Com's Essentials/Just For Kicks
Spieldauer: 47:59
Erschienen: 01.08.2025
Website: [Link]

„Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, eine Musik zu hören, bei der die Ohren plötzlich Sturm läuten? Sie schreien einem zu: 'Hey, Hirn, merkst du nicht, was du verpasst, wenn du nicht endlich alle Sinne auf diese Musik einstellst? Du wirst zu spät erkennen, etwas Unwiederbringliches unbeachtet gelassen zu haben, weil du dich der dumpfen Oberflächlichkeit hingabst - dich mit Unwichtigem beschäftigtest und nur dem Unterbewusstsein diese Musik überlassen hast!“ (Einleitung aus einer Review des Jahres 2006 vom Verfasser dieses Textes zu einem DISCIPLINE-Album)


Es ist eins der wohl schaurigsten Märchen, mit denen wir damals noch (heutzutage bei dem ärmlichen Ignorieren der Märchen-Bücher zugunsten der digitalen Technik eher eine Seltenheit) als Kind einen Schrecken eingejagt bekamen und diesen als Erwachsene dann an unsere Kinder weitergaben. Gesammelt und aufgeschrieben von den Gebrüder Grimm, 1812 erstmals veröffentlicht in den „Kinder- und Hausmärchen“. Es geht darin um zwei kluge, von ihren Eltern (besonders der extrem boshaften Stiefmutter) im Wald ausgesetzte Kinder, die trotz cleverer Strategie – dem Verstreuen von Brotkrumen, um den Weg zurück wiederzufinden – alle Hoffnung verloren haben. Sogar Hexenverbrennungen in einem Ofen und verlockend-verführerische Pfefferkuchenhäuschen werden thematisiert.
Der Märchenkultur noch Mächtige wissen hoffentlich spätestens in diesem Moment, um welches Märchen es geht!
Jedenfalls werden darin alle verstreuten Brotkrumen, auf denen jegliche Hoffnungen von Hänsel und Gretel ruhen, zu deren Entsetzen von Krähen aufgefressen. Damit war ihnen die Hoffnung auf den Rückweg zerstört worden und sie sahen sich kurz darauf im tiefen, finsteren Wald der Hexe ausgeliefert. So hätte die Krähe den Kindern auch gleich ihre Augen aushacken können – und diese wie auf dem Album-Cover des großartigen (So viel sei schon vorab verraten!) DISCIPLINE-Albums „Breadcrumbs“ (Brotkrumen) in ihrem Schnabel tragen können.


Das Märchen „Hänsel und Gretel“ sorgte bei vielen von uns sicher schon für schlaflose Nächte. So wohl auch beim DISCIPLINE-Kopf Matthew Parmenter, denn der nahm sich dieses Schauermärchen vor und entwarf dazu die ideale 'schaurige' Musik in allerbester Tradition der bereits seit 1987 aktiven amerikanischen Progressive-Rock-Band. Als thematische Leitlinie stellt er einen kurzen Auszug aus dem Märchen ans Ende des sehr schön gestalteten und mit allen Texten versehenen 12-seitigen Booklets, in dem es heißt: „'Sei nicht besorgt Gretel. Wenn der Mond aufgeht, werden uns die Brotkrumen, die ich heimlich auf dem Hinweg verstreut habe, den Weg nach Hause weisen.' Doch als der Mond aufgegangen war und sie die Brotkrumen suchten, waren diese verschwunden. Die Vögel des Waldes hatten sie aufgepickt, sodass die Kinder keine Möglichkeit mehr hatten, den Rückweg zu finden.“

Und nun ab zu DISCIPLINE...


...die im Grunde in ihren Texten eine Parallele zu den 'verschwundenen Brotkrumen' herstellen, die in unserer Gegenwart für unser eigenes Weiterkommen so überlebenswichtig wären. Und sie stellen – Was für ein Glück! – eine ebenso deutliche Parallele zu ihren fantastischen Frühwerken „Push & Profit“ (1993) und „Unfolded Like Staircase“ (1997) her, die längst echte Band-Klassiker sind.

Oh ja! DISCIPLINE haben thematisch und musikalisch genau die Finsternis wiedergefunden, mit der sie mich schon damals gefangen nahmen (als ich hier noch bei den BBS über die Band schrieb) und sich in „The Nursery Year“ (Sicher bewusst mit hergestellter GENESIS-Parallele) ähnlich schockierenden Themen wie auf „Breadcrumbs“ zuwandten, wozu ich damals (2006) tatsächlich schrieb: „Endlich kommt er dann - dieser Titel, der jedes halbwegs offene Ohr zwingt, auch alle anderen Sinne auf sich einzustellen. 'The Nursery Year' beginnt so einfach, nein banal, wie jedes Kinderliedchen, das gesungen wird, um dieses kleine, liebgewonnene Wesen in den Schlaf zu lullen, wobei auch die Klänge einer Spieluhr helfen, ... und es endet so radikal, dass es einem die Nackenhaare zu Berge stehen und das Gehörte nicht begreifen und schon gar nicht glauben lässt!


Einen so gefühlvoll und zugleich brutal gesungenen Titel habe ich noch nie gehört. Es ist für mich mein 'All-Time-Favourite'! In ihm geht es um einen Vater (Aus dessen Sicht auch gesungen wird!), der seine Tochter seit ihrem siebenten Geburtstag regelmäßig vergewaltigt, während die Mutter Geburtstagseinkäufe für ihre Tochter macht. Mit der Warnung, dass er ein großes Loch auf dem Spielplatz ausgehoben habe, wenn das Mädchen etwas erzählt, schüchtert er die Kleine jahrelang ein - bis zu dem Moment, in dem sie trotz aller Angst jemandem etwas von ihrem sadistischen Vater erzählt, der ihr dann noch aus dem Knast zuschreit, dass dieses ausgehobene Loch schon auf sie wartet, sowie er wieder auf freiem Fuße ist! Die musikalische Umsetzung dieser schrecklichen Geschichte ist, besonders durch den Gesang, so überzeugend gelungen, dass man sich als Hörer unmittelbar in die Rolle des ängstlichen, geschundenen kleinen Mädchens versetzt fühlt, um später unausweichlich der Vaterrolle zu verfallen. Ein musikalischer Alptraum in Perfektion! Mehr ist musikalisch nicht möglich - und unumwunden muss ich es nennen, dieses Wort, das man so gerne dem relativierten ;-) Herrn Einstein zuordnet: GENIAL!“

Breadcrumbs“ kann gar als eine Art Fortsetzung von „The Nursery Years“ verstanden werden. Nicht ganz so intensiv und brachial zwar, dafür aber ähnlich dunkel und beängstigend. Schon der 17-minütige Album-Opener greift atmosphärisch genau diese 'The Nursery Year'-Stimmung auf. Die unheimliche Orgel am Anfang, die gespenstischen Gitarren sowie die flehende Geige, das gleichmäßige Schlagzeug-Spiel und dieser dunkle Gesang – ein Prog-Bolero, der sich entwickelt, aber am Ende nicht etwa ausbricht, sondern einfach wieder verstummt und den Hörer einerseits erschüttert und andererseits ungläubig zurücklässt.


„Keep The Change“ verbreitet danach fast hoffnungsvolle Stimmung. Eine Ballade? Nicht wirklich, denn spätestens wenn sich die Orgel wieder durch die Hintertür einschleicht und der Gesang einen so unheimlich an PETER HAMMILL erinnert, trägt man während der gut sieben Minuten ein permanentes VAN DER GRAAF GENERATOR-Gefühl mit sich rum.

Oder „When The Night Calls To Day“ dessen erste Strophe (hier übersetzt) schockiert: „Gebrochenes Herz / In einer Ecke / Auf einem Teller von Schmeißfliegen übersät“.
Kann man Liebeskummer besser (oder schlimmer) ausdrücken?


Mit „Aloft“ gibt es zudem ein Instrumental auf „Breadcrumbs“ zu entdecken, das unüberhörbar das Motiv des textgebenden Album-Openers wiederaufgreift und anfangs der Gitarre mehr Spielräume zugesteht, zugleich stärker auf akustische Elemente setzt, doch nach zwei der insgesamt acht Minuten wieder die Orgel ins Spiel bringt. Auch die Geige darf nicht fehlen und erhält hier ihren ausgiebig(er)en Part. Mitunter entsteht der Eindruck, dass DISCIPLINE hier einfach noch zusätzliche Instrumentalphasen in dem Stück einbringen, die sie sich nicht auf dem Titeltrack unterzubringen trauten, weil der sich sonst auf eine Länge von fast 25 Minuten erstreckt hätte. Und da es von „Breadcrumbs“ auch eine LP-Ausgabe gibt, wäre solch ein Longtrack aus Kapazitätsgründen einfach etwas zu lang ausgefallen.

Fast stimmungsvoll strebt das märchenhafte Album dann mit „Aria“ seinem Ende entgegen. Der Gesang trägt gar etwas Klassisches in sich, genauso wie das sich anschließende Geigenspiel. Wortwörtlich ein luftiges Stück, das sehr bedeutungsschwanger das Album abschließt und die Verbindung von Luft und Feuer thematisiert, wobei wir wieder bei 'Hänsel und Gretel' wären. Melodramatisch. Eine Ballade für die Ewigkeit von Leben und Tod, Liebe und Verlust, Abhängigkeit und Befreiung – und der Gegensätzlichkeit zweier Elemente, die unerlässlich für unser eigenes Sein sind.

In diesem Sinne: „Breadcrumbs“ ist ein elementares Album für DISCIPLINE geworden, das den Kreis zu den beiden ersten Alben schließt. Ein Album, das man DISCIPLINE, die nunmehr auf den Punkt hinter ihrem Bandnamen (also damals noch 'DISCIPLINE.') verzichten, in solcher Intensität und Rückbesinnung auf ihre 90er-Jahre-Wurzeln wohl nicht mehr zugetraut hätte. Große, absolut positive Überraschung!


FAZIT: Wenn Hänsel und Gretel, ausgesetzt von ihren boshaften Eltern (besonders vorangetrieben durch die schreckliche Stiefmutter), sich im Wald verlaufen, weil die letzte Chance für sie die von Hänsel ausgestreuten Brotkrumen waren, welche die Vögel des Waldes fraßen, dann sind bei solch schaurigem Märchen mit einem ähnlich schaurigem Prog-Epos DISCIPLINE mit ihrem charismatischen Mastermind MATTHEW PARMENTER nicht weit. Auf „Breadcrumbs“ kehren die Prog-Amis zu ihren 1990er-Anfangsjahren und ihren ersten beiden Alben, die wirklich großartig waren, erneut zurück und lassen ihnen unter diesen Bedingungen über 30 Jahre später ein atmosphärisches und tief bewegendes Album zurück, das in gewisser Weise den Kreis schließt. Das war kaum noch zu erwarten, aber insgeheim von vielen DISCIPLINE-Anhängern immer gewünscht. Nun lassen Parmenter und seine disziplinierten Begleiter diesen Wunsch völlig überraschend wahr werden.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 54x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Breadcrumbs
  • Keep The Change
  • When The Night Calls To Day
  • Aloft
  • Aria

Besetzung:

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Interviews:
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