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The Tangent: Not As Good As The Book (Review)

Artist:

The Tangent

The Tangent: Not As Good As The Book
Album:

Not As Good As The Book

Medium: CD
Stil:

Progressive Rock

Label: InsideOut Music
Spieldauer: 94:43
Erschienen: 29.02.2008
Website: [Link]

Darauf habe ich schon lange gewartet, es mir gewünscht, es herbeigesehnt – doch nie so recht daran geglaubt, dass wir im Zeitalter des schnellen Kicks, der oberflächlichen Wahrnehmung und der kulturellen Verschleuderung von Werten, deren einziger Sinn noch unterm profitablen Blickwinkel der Vermarktung von kulturellen Wegwerfprodukten besteht, plötzlich irgend so ein „Spinner“ daher kommt, um den ganzen Scheiß nicht mitzumachen. So als würden Asterix und Obelix auf die kapitalistische Marktwirtschaft treffen und mit Hilfe ihres (moralisch-kulturellen) Zaubertranks gehörig ihre Fäuste unter all den profitgeilen Groß- und Kleinkapitalisten fliegen lassen, um zumindest ihr eines Kleinkunstwerk verwirklichen zu können. Und glücklicherweise stehen sie am Ende nicht wie Don Quichotte da, der sich im Kampf gegen die Windmühlenflügel aufgerieben hat, sondern sie halten „Not As Good As A Book“ in der Hand.

Stellen wir uns einmal folgendes vor: Ein Musiker, ein Schriftsteller, ein Lyriker und ein Maler, dessen ganz besondere Stärke im Zeichnen von Comics liegt, bilden eine Wohngemeinschaft und beschließen eines Tages, alle miteinander ins Bett zu gehen. Dabei toben sie sich so richtig aus und jeder versucht, genau wie im wahren Leben, sein Bestes zu geben, was ihm auch durchaus gelingt. Und aus diesem intellektuellen – nein, nein, nicht sexuellen – Höhepunkt entsteht ein Kind, das ein wenig so aussieht wie JOHN LENNON, aber nicht so klingt, aber trotzdem dessen Genialität in sich trägt. Denn es ist in der Lage, die unterschiedlichsten Kunstformen in sich zu vereinen – eine spannende Novelle mit futuristischen Elementen, die sich in erster Linie auf eine „bessere musikalische“ Vergangenheit beziehen, viel Lyrik, die zusätzlich zur Vertonung der Novelle dient, comichafte Illustrationen, die auf wundervoll ansehnliche Weise der Geschichte ein einzigartiges Bild verleihen und am Ende Musik, die vielfältiger kaum klingen kann: progressiv, breit instrumentiert, melodiös, rockig, ruhig, jazzig, verspielt, verträumt, mal bombastisch, mal einfach und immer voller Visionen.

Genau so ein Kind wünscht man sich, auch wenn es manchmal schreit oder bockig ist. Es schielt aber nie nach dem größeren und bunteren Schnuller des Kindes, das neben ihm im Kinderwagen liegt, weil es genau weiß, dass dieser so toll aussehende Schnuller, den sich fast alle Kinder wünschen (und leider auch bekommen), am Ende nur einen Zweck erfüllt – er bringt nämlich denjenigen, der ihn sich in den Mund steckt, dazu, dass er verstummt, indem er nuckelnd sabbert, ohne jemals seine Stimme zu erheben.

Das „andere“ Kind, von dem ich gerade schrieb, hat natürlich auch einen Namen. Es heißt THE TANGENT und der geistige Vater hört auf den bürgerlichen Namen ANDY TILLISON. Dieser wiederum erzählt uns eine Geschichte von diesem seltsamen Typen mit John-Lennon-Brille, der versucht, mit Musik aus der Vergangenheit die verkommene Welt der Zukunft zu retten. Natürlich treffen all diejenigen von uns, die sich leidenschaftlich mit progressiver Rockmusik beschäftigen, die großen Prog-Dinosaurier wieder genauso wie versteckte Musikjuwelen, die neueren Datums sind oder die man unverzeihlicher Weise bisher übersehen hat, wie z.B. NATIONAL HEALTH (Zitat: „… and the first album by National Health, possibly the most ingenious writers of instrumental music never to be heard of.“).

Passender Weise wird in dieser Geschichte eigentlich nichts Anderes beschrieben als das, was TANGENT sich in ihren ersten drei Alben (2003: The Music That Died Alone / 2004: The World That We Drive / 2006: A Place In The Queue) auf die Fahnen geschrieben hatten: die musikalische Wiederbelebung des progressiven Rocks der 70er Jahre, von GENTLE GIANT über KING CRIMSON bis PINK FLOYD, YES, VAN DER GRAAF GENERATOR und GENESIS (Diese Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen!). Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied, den TILLISON auf den Punkt bringt: „Wir singen nicht über die üblichen Prog-Themen, es gibt bei uns keine Hobbits, Orcs oder unterirdische Welten. Wir haben schon immer über reale Dinge gesungen und versucht, progressive Musik als etwas zu etablieren, was für das Leben in der heutigen Zeit von Belang ist. Dieser Umstand beschreibt mehr als alles andere THE TANGENT.“

Ein herrliches Zitat und zugleich verbaler Arschtritt in den Hintern von solchen Kritikern, die selbstverliebt und wichtigtuerisch behaupten, im Prog-Rock zählte nur die Musik und die Texte wären Nebensache. Eine beeindruckende Vorstellung – demnach könnten wir ja demnächst die Musik von YES’ „Relayer“ mit dem Text „Brother, Brother Louie“ von MODERN TALKING kombinieren. Also, wer der Meinung ist, dass es auf Texte nicht ankommt, der sollte lieber zu einem anderen Album greifen und sich als Kritiker definitiv solche Weisheiten verkneifen, denn es ist die Komplexität von Musik, Text & malerische Gestaltung, die dieses außergewöhnliche Album auszeichnet.

Damit ist klar, dass uns mit „Not As Good As The Book“ ein rundum farbenfrohes Kunstereignis erwartet, das bereits auf „A Crisis In Mid Life” andeutet, in welche vielfältigen Richtungen die musikalische Reise geht: symphonischer Rock ist der Motor, gute Melodien samt leidenschaftlichem Gesang das Benzin, und die vier Räder rollen auf unterschiedlichen Reifen, nennen wir sie einfach mal Canterbury, Retro-Prog, Jazz und Hard-Rock. Und dieses Auto legt sich ständig in die Kurven, mal scharf, mal zart, mal elegant, mal kantig. Auch was da so alles aus dem Auspuff geblasen wird ist schwer beeindruckend und garantiert keine musikalische Umweltverpestung: Saxofone, Flöten, jede Menge akustisches Instrumentarium und natürlich alles, was die progressive Rockmusik so richtig fett und bombastisch macht. Wenn so die Midlife-Crisis aussieht, dann freue ich mich mit meinen (gerade noch) 43 Jahren schon gehörig darauf.

Wer bereits die ersten drei Studioalben der Band, die sich durch viele personelle Besetzungswechsel auszeichnete, kennt, wird diesmal feststellen, dass Album Nummer 4 neben Altbewährtem auch sehr viel Neues zu bieten hat. Personell wäre da als erstes JAKKO M JAKSZYK zu nennen, der sich bereits bei den ehemaligen KING CRIMSON ohne FRIPP, die unter dem Bandnamen 21st CENTURY SCHIZOID BAND CDs veröffentlichen und durch die Weltgeschichte touren, seine Lorbeeren verdiente, indem er gleich die Stelle des fehlenden FRIPPs sowie die von GREG LAKE und JOHN WETTON bravourös durch seine Gitarrenarbeit und seinen Gesang ausfüllte. Doch statt hier Retrocrimsoneskes (Ist das nicht ein schöner Neologismus?) ins TANGENT-Konzept einfließen zu lassen, passt er sich mit all seinem Können TILLISONs Konzept an und bereichert es.

Während CD 1 durchaus dort anknüpft, wo die vorangegangenen drei Alben aufhörten – am ausgezeichneten Prog-Rock der 70er Jahre – überrascht die 2. CD durch eine neue Richtung, die bisher so auffällig nicht war. Irgendwie hat sich doch tatsächlich der Herr WATERS ins TANGENT-Universum eingeschlichen und die Musik erinnert nicht nur an gute alte PINK FLOYD Zeiten, sondern auch ganz besonders an ein Waters-Solo-Werk, das kaum jemandem bekannt ist, aber aus meiner Sicht seine beste Solo-Leistung darstellt: die Filmmusik zu „When The Wind Blows“, die er als ROGER WATERS AND THE BLEEDING HEART BAND aufnahm und die die komplette B-Seite dieses Soundtracks füllt. Ein Zeichentrickfilm, der in seiner Tiefe und Darstellung so bewegend wie schockierend ist, da er das Leben zweier älterer, unglaublich lieber und leider total naiver Menschen nach dem Abwurf der Atombombe darstellt, die am Ende jämmerlich krepieren.

Und irgendwie schließt sich in diesem Moment auch der Kreis zu „Not As Good As The Book“.

FAZIT: Großes Kompliment an den Verfasser des Promo-Zettels, denn besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können, darum hier der Originalwortlaut: „Mit ihrem vierten Werk gehen THE TANGENT noch einen Schritt weiter. TILLISON: ‚Obwohl unser neues Album seine Wurzeln in der gleichen Tradition hat, besitzt es eine größere Palette an Sounds und Stilen … Die Scheibe klingt lebendiger als die Vorgänger, und ich denke, dass sie mehr rockt als die anderen drei.’“ Recht hat er!

Kleiner Zusatz meinerseits: Bei einem Doppelalbum hätten aber durchaus etwas mehr als die insgesamt 90 Minuten herausspringen können.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 6506x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • CD 1:
  • A Crisis In Mid Life
  • Lost In London (25 Years Later)
  • The Ethernet
  • Celebrity Purée
  • (The Future Was) Not As Good As The Book
  • A Sale Of Two Souls
  • Bat Out Of Basildon
  • -
  • CD 2:
  • Part One – “Four Egos, One War” (a: Ours / b: Theirs / c: His / d: Mine)
  • Part Two – “The Full Gamut” (a: The D599 / b: Goteborg / c: Last Tango / d: Studio Tan / e: Not A Drill / f: Southend / g: The A1 North Of Paris / h: Four Last Days / i: The D599 And The A 61

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