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Joe Henry: All The Eye Can See (Review)

Artist:

Joe Henry

Joe Henry: All The Eye Can See
Album:

All The Eye Can See

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Folkrock, Singer-Songwriter, Americana, Jazz

Label: earMUSIC/edel
Spieldauer: 52:23
Erschienen: 27.01.2023
Website: [Link]

Zu den himmelschreienden Ungerechtigkeiten in der Musikwelt gehört der seit 30 Jahren kaum veränderte "Geheimtipp"-Status des großen US-Songwriters JOE HENRY. Als Top-Produzent mit mehreren Grammys dekoriert und im Studio erste Wahl vieler toller Musiker wie Solomon Burke, Joan Baez, Billy Bragg oder Aimee Mann, fristet der inzwischen 62-jährige Sänger und Gitarrist aus North Carolina mit seinen eigenen Alben weiterhin ein Nischendasein. Ob sich daran mit "All The Eye Can See", Henrys mittlerweile 16. Soloplatte, etwas ändert, ob er also bald endlich seinen Platz auf der Höhe ähnlich veranlagter Klassiker wie Elvis Costello, Randy Newman oder Tom Waits einnimmt? Verdient hätte er's längst. Es darf doch eigentlich nicht wahr sein, dass JOE HENRY für viele vor allem als Schwager von Madonna (und als Co-Autor von deren Hit "Don't Tell Me") bekannt ist.

Die 14 neuen Tracks, vom zarten Instrumental-Opener "Prelude To Song" über das an eine zu lange vergessene Songschreiberinnen-Ikone gerichtete "Karen Dalton" bis zum prachtvollen Closer "Red Letter Day", sind wieder allerfeinste Preziosen, die sich zu einem Album auf der qualitativen Höhe seiner allerbesten Werke "Fuse" (1999), "Scar" (2001) oder "Civilians" (2007) zusammenfügen.

Der vom Alternative-Country kommende Henry erfindet hier - im Gegensatz zu den kühnen, auch mal sperrigen Ausflügen in Avantgarde-Pop, Noise-Rock und Jazz vor rund 20 Jahren - seine Klangwelt nicht mehr neu. Was sich zunächst wie ein dezenter Stagnationsvorwurf liest, ist indes als Kompliment zu verstehen.

Denn JOE HENRY verdichtet diesmal seine bewährte Kompositions- und Dichtkunst noch virtuoser als auf vorherigen Platten wie "Invisible Hour" (2014) oder "The Gospel According to Water" (2019) zu intensiven Balladen, die berühren, erschüttern, zum Nachdenken anregen und aufbauen. Gospel-Songs eines Glaubenszweiflers - oder zumindest etwas ähnlich Verwirrendes. 

Man muss nur "Mission", "God Knows", "Kitchen Door" oder den Titelsong hören, um die Wärme und Reife von JOE HENRYs Lyrics zu empfinden. Jedes einzelne Lied, ob mit Streichern, Gitarren, Harfe oder weiblichen Begleit-Vocals (unter anderem von prominenten Kolleginnen wie Madison Cunningham, Alison Russell oder Lisa Hannigan)  verziert, glänzt und funkelt als Americana-Juwel erster Güte. Es mag vermessen sein, in diesem Zusammenhang den Namen Bob Dylan fallen zu lassen - aber warum eigentlich nicht...

Die hauchzarte Instrumentierung durch eine - wie immer auf Joe-Henry-Alben - prominent besetzte Folkrock-, Blues- und Jazz-Bigband (unter anderem Bill Frisell und Marc Ribot an den Gitarren, Keefus Ciancia am Piano, David Piltch am Bass und Patrick Warren an den Keyboards) - ist ein weiteres As im Ärmel dieses Musikers. Dass Henrys Sohn Levon an allen möglichen Blasinstrumentem Akzente setzt, gilt für Fans schon seit Jahren als gewohnter Standard. Auch hier: Während ein Beharren auf dem fast immer gleichen Kern von Mitspielern bei anderen Künstlern irgendwann zum Problem wird, geht es JOE HENRY um die behutsame, aber stetige Weiterentwicklung inmitten einer Schar von Ausnahme-Instrumentalisten - mit Erfolg.

In seinen (wie immer lesenswerten) Liner-Notes zu "All The Eye Can See" fand der Songwriter im Herbst 2022 klug reflektierende Worte: "Was die Songs selbst betrifft, so beobachte ich, dass sie zum Teil aus unseren gemeinsamen und traumatischen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit entspringen, ebenso aus unseren heutigen Reaktionen darauf. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich, dass ich mir noch nie erlaubt habe, so persönliche Songs zu schreiben und zu veröffentlichen, wie sich diese jetzt für mich anfühlen." Immerhin schien das, was Henry zurückhaltend als "Gesundheitskrise" bezeichnet, nämlich eine Prostatakrebs-Erkrankung, nach erfolgreicher Klinikbehandlung hinter ihm zu liegen - da schlug die Corona-Pandemie zu und "ließ im März 2020 ihre schweren Vorhänge auf meine Wünsche und Hoffnungen fallen". 

Man hört den neuen Lieder Irritation, Betroffenheit und Trauer durchaus an, sie klingen so zerbrechlich und sensibel wie lange nicht mehr bei diesem wunderbaren Musiker. Er habe eigentlich erwartet, in einer solchen Grundstimmung "das skelettierteste Album meiner Karriere zu machen", erklärt JOE HENRY - und ist daher selbst erstaunt: Stattdessen sei dies nun seine "in vieler Hinsicht bisher üppigste Platte" geworden. Nehmen wir es als gutes Zeichen, wenn aus niederschmetternden persönlichen und globalen Entwicklungen etwas so Fabelhaftes entsteht wie "All The Eye Can See". Oder, um nochmals aus Henrys Liner-Notes zu zitieren (und weil es so schön klingt, hier mal im englischen Original): "To borrow from Woody Guthrie, this train is bound for glory. And I’ve come tolearn that that speaks - always and forever - to journey, not destination."

FAZIT: "Oh, now's the day for all your tears and mine/for now's the time/oh now's the time/oh now's the time" - mit diesen so traurigen wie tröstlichen Sätzen in "Red Letter Day" klingt die 16. Studioplatte von JOE HENRY aus. Der Closer von "All The Eye Can See" steht hier stellvertretend für eine Kunst, die sich mit den Größten des Genres messen kann. Henry, ein vielfach ausgezeichneter Studioproduzent und seit langem Kritikerliebling für seine feingesponnenen Lieder und hochwertigen Alben, gehört in den Songwriter-Olymp - jeder Folkrock-Fan darf ihm getrost huldigen.

Werner Herpell (Info) (Review 2820x gelesen, veröffentlicht am )

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13 Punkte
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Tracklist:
  • Prelude To Song 
  • Song That I Know
  • Mission 
  • Yearling
  • Near To The Ground
  • Karen Dalton
  • O Beloved
  • God Laughs
  • Kitchen Door
  • Small Wonder
  • All The Eye Can See
  • Pass Through Me Now
  • Prologue to Song
  • Red Letter Day

Besetzung:

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