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Interview mit Canvas Solaris (23.10.2007)
Hunter Ginn begibt sich in den Ring zum schlauen Schlagabtausch und beweist Humor wie ein nicht alltägliches Musikverständnis – ein Grund mehr, seine großartige Instrumentalgruppe CANVAS SOLARIS kennnenzulernen.
Wie hat Europa bisher auf euch reagiert? – Ich glaube, instrumentaler Metal wird in den Staaten wesentlich stärker geschätzt als hier.
Ich kann diese Einschätzung nur bestätigen; wir wurden bisher lauwarm bis kalt bei euch empfangen. Das enttäuscht mich wirklich, denn ich habe mich lange mit dem ästhetischen Wagemut der traditionellen europäischen Metal-Spielarten identifiziert, vor allem mit der post-Black-Metal-Avantgarde aus Oslo. Zumindest in meinen Augen waren europäische Metal-Musiker stets weniger auf Szene-Gehabe aus als ihre amerikanischen Kollegen. Es scheint dennoch so, als fielen unsere Alben in die Hände von Kritikern, die mehr auf Helloween als Spastik Ink stehen! Wie dem auch sei – ich bin schon froh, wenn überhaupt irgendjemand unsere Musik schätzt.
Wo kommt eure Vorliebe für Mathematik, Physic und den Weltraum her? Wieso schreibt ihr keine Musik für Rollenspiele und Fantasy-Filme oder vertont urbane Gewalt und jugendliche Ängste?
Auch wenn ich jetzt wie ein junger Ihsahn klinge: dieser Enthusiasmus kommt daher, dass wir in einer sehr ländlichen Gegend aufgewachsen sind und die Weite und Schönheit des Nachthimmels bewundern. Als Ben zur Band stieß, nahm er diesen Enthusiasmus und mischte ihn mit seinem mathematischen Background und Physik., um irgendwie etwas schlüssig Ästhetisches daraus zu machen. Ich trug mit meinem Interesse an Literaturtheorie meinen Teil dazu bei und schuf damit die Voraussetzung der Konzepte hinter „Ekstatik Parataxis“, „The Non-Terminating Integer“ und „Accidents in Mutual Silence“. „Cosmopolysyndeton“ war vom Konzept her ein Versuch, die beiden Impulse miteinander zu versöhnen, aber heute scheint mir die Kombination ehrlich gesagt ein wenig verkrampft.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Canvas Solaris Gewalt, Feindseligkeiten und Ängste aller Art befürworten; die Pits während unserer Konzerte beweisen das.
Wie wurdet ihr musikalisch sozialisiert, und habt ihr eine Ausbildung genossen?
Mein Freund, die flotten Sechzehntel in der Solopassage von “Luminescence“ verweist auf unseren primitiven musikalischen Geist. Mehr Autodidaktik geht nicht!
Wie entsteht ein Canvas-Solaris-Song? – Improvisiert ihr, oder tragt ihr euch vorher gegenseitig die Ideen zu?
Nun, der Vorgang hat sich über die Jahre geändert – nicht so sehr, um unseren Sound frischer zu gestalten, sondern auf natürliche Weise. Auf „Spatial Design“ und „Sublimation“ haben die einzelnen Mitgleider jeweils die Stücke geschrieben und dann während der Proben den anderen vorgestellt. Die Strukturen waren üblicherweise unverrückbar vorgegeben, aber jeder Einzelne war für seinen eigenen Part verantwortlich. In einer folgenschweren Dezembernacht aber, zwei Wochen vor den Aufnahmen zu „Sublimation“, fingen wir Drei über ein Thema von Ben zu jammen an, und siehe da: „Syzygial Epiphany“ war geboren! Als wir anfingen, für „Penumbra Diffuse“ zu komponieren, war es logisch, diesen Weg weiterzuverfolgen. Die seltsamsten Stücke auf dem Album – „Horizontal Radiant“, Psychotropic Resonance“ und „Luminescence“ - sind das Ergebnis dieser Art der Zusammenarbeit. „Cortical Tectonics“ und unser gerade frisch aufgenommenes nächstes Album “The Atomized Dream stamen komplett von Nathan und mir. Wir sind mittlerweile so gut aufeinander eingespielt, dass wir die musikalischen Phrasen des jeweils anderen vervollständigen können.
“Berserker Hypothesis” sehe ich vage als etwas aus dem Bereich der Programmierung...
Was redest du für ein Zeug? – Das Lied bezieht sich auf meine Weltherrschafts-Fantasien für Tech-Metal und die Beschallung des Globus mit dem ersten Beherit- Album. Das wird den Leuten eine Lehre sein! Unser Produzent bemerkte, dass das Ende von „Berserker“ ihn dazu bringen könnte, jemandem den Arm abzubeißen...wirklich.
Wie kann ein „Sinusoid“ etwas mit einem „Mirage“ zu tun haben, wo es sich dabei doch um etwas Mathematisches und demnach nicht sonderlich Wundersames handelt?
Die offensichtlichen Dinge sind oft die am tiefsten verborgenen. Glaubst du mir, dass die Hauptinspiration für das Stück Julian Priesters „Love Love“-Album war? Es ist das größte Wunder unseres Albums.
Welchen Tumor schneidet euer “Gamma Knife” heraus? – Den schlechter Musik?
Wir entfernen die Herzen der Schwachen und Unwahrhaftigen, und das jeweils kontrapunktisch. Wenn ich Deathrows „Deception Ignored“ höre, dann denke ich, dass ich mehr Vertrauen in Chirurgie hätte, wenn ich wüsste, dass Ärzte deutschen Techno-Thrash hörten. Das ist in unserem Land ein großes Problem.
Hättest du gerne eine Reticular Consciousness”? – Würde ein fadenkreuzexaktes Bewusstsein dich nicht allmählich wahnsinnig machen?
Nathan ertränkt seins in einer Brühe aus Malzschnaps und Südstaaten-Melancholie. Es ist echt ein Wunder, dass wir mit diesem Cocktail nicht wie Crowbar klingen. Eigentlich propagiert der Song ja gar nicht, was sein Titel besagt: Sex mit Tieren – gibt es etwas Besseres? –, Genozid, Weltraumkrieg – ja, aber ein Bewusstsein wie ein Fadenkreuz? Für welche Tiere hältst du uns? Wir sollten es als Geschichte mit Moral ansehen.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus, und wie viele zusätzliche Musiker könnten euren Sound angemessen auf der Bühne reproduzieren, wenn ihr ausgedehnte Tourneen spielen würdet?
Wir schreiben und nehmen weiter auf. Shows sind in der Tat ein Thema, aber nur in unserem näheren Umfeld. Wir würden sofort beim ersten Angebot nach Europa kommen, klar, aber angesichts des schwachen Feedbacks...Momentan können wir zu fünft ganz gut live wiedergeben, was auf den Alben steht. Du fragst sicher wegen „Horizontal Radiant“ – Das Glenn Barca Ensemble kommt mir da in den Sinn, und auch „Luminescence“ würde wohl leider eine viel größere Besetzung als unsere aktuelle erfordern.
Erzähl mal über deine Lieblingsmusiker und -Bands aus Deutschland! Auf eurem zweiten Album gab’s ja diese ellenlangen Listen in den Linernotes...
Spontan: Kraftwerk, Bethlehem, Porter Ricks, Der Plan, Bohren & Der Club of Gore, Cluster, Morgoth, MonoLake, Sieges Even vor ihrem neuerlichen Comeback, Ash Ra Tempel, Oval, Pyrolator, Novalis, Pyogenesis, Nargaroth, Mekong Delta, Vainqueur, Necrophagist, Mouse On Mars, Fields Of The Nephilim... „Control And Resistance“ wurde in Berlin aufgenommen, um ein Schicksal zu erfüllen, das noch immer in den Sternen steht – Warte und staune. Ich sehne mich danach, die deutschen Alpen mit extralangen Armen zu umschließen.
Auch wenn Nephilim keine Deutschen sind: Danke für deine Zeit, und immer schön weiter Grüntee trinken!
Danke dir dafür, so interessante Fragen zu stellen! Es war mir ein Vergnügen, und einen Kaffee mit Sahne für mich, bitte!
Andreas Schiffmann
(Info)
Alle Reviews dieser Band:
- Canvas Solaris - Cortical Tectonics (2007)
- Canvas Solaris - The Atomized Dream (2008)
- Canvas Solaris - Irradiance (2010)