Partner
Services
Statistiken
Wir
Interview mit ABO ALSLEBEN (01.11.2024)
Mit seinem Buch "Mayhem live in Leipzig. Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte" hat Abo Alsleben 2020 eine absolut relevante Lektüre für Black-Metal-Fans vorgelegt, in welcher er u.a. seinen Briefwechsel mit Euronymous veröffentlichte. Nun präsentiert der passionierte Schreiber unter dem Titel "Hella im Black-Metal-Land" eine Erzählung, mit welcher er den verstorbenen Wegbereitern des Genres Tribut zollt, indem er tief in eine von ihren Songtexten inspirierte Welt des Horrors und der Perversion eintaucht – und darin zuweilen auf der Nachtseite der Natur eine Heimat entdeckt, die bereits in der romantischen Literatur zur Weltflucht einlud.
Grüß Dich, Abo. Schön, dass Du Dir Zeit nimmst, uns den einen oder anderen Einblick in Deine Schreiberei zu gewähren! Wenn ich das richtig verstanden habe, bist Du über Dein eigenes Fanzine zum Schreiben gekommen?
Vielen Dank, lieber Thor, für Dein Interesse und das Interview! Es ist mir eine große Ehre, in Deinem Fanzine Mørkeskye und auf Musikreviews.de Erwähnung zu finden! In der Tat war mein Fanzine Cadaver, Corpse & Bowels mein erster literarischer Output. Es war damals 1990 eine tolle und spannende, aber auch gefährliche Zeit. Eine Zeit voller Aufbruch, neuer Ideen und Schöpfungen. Nachdem in der DDR jede eigene private Veröffentlichung verboten war und man mit der Stasi in Konflikt kam, war es für mich eine Offenbarung, ein eigenes Zine veröffentlichen zu können. Das war natürlich nicht so einfach wie heute am Computer. Ich musste alle Seiten zusammenkleben, die Interviews auf der Schreibmaschine tippen und dann auf die Originale kleben, die ich dann abends in der Uni heimlich kopierte und vervielfältigte. Dann schleppte ich die kopierten Seiten nach Hause und klammerte sie. Die Qualität litt sehr darunter, aber das war egal! Weil es auch noch kein Internet gab und ich nur dürftige Fotos der Bands hatte, die ich interviewte oder die Cover der Demos auch schon zigmal kopiert waren, besorgte ich mir ein Buch, was zur Musik passende Abbildungen hatte. Das Buch hieß "Gerichtliche Medizin" von Wolfgang Dürwald. Ein Lehrbuch für Studenten der Medizin und Pathologie, erschienen 1990 in Leipzig. Darin fand ich u.a. einen original Totenschein, einen Autopsie-Antrag, massig Fotos von Unfallopfern, Selbstmördern und Mordopfern und allem, was das Splatter-Herz erfreut! Damit konnte ich meine Texte passend illustrieren. Es waren nur Bands im Death Metal, Grindcore und Noisecore vertreten. So u.a. auch Mayhem, die sich damals noch selbst im Death Metal verorteten. Von jeder der vier Ausgaben erschienen um die 400 Exemplare, alles handnummeriert. Ich traf einen Nerv, denn die Dinger gingen weg wie warme Semmeln. So lernte ich Euronymous und Mayhem kennen und organisierte dann die drei Konzerte.
Ich hatte Dir ja bereits erzählt, dass ich kurz davor war, Dein neues Buch mit seinem bluttriefenden Horror beiseite zu legen, doch dann merkte ich, dass sich eine gewisse Faszination und auch Verwirrung beim Lesen einstellten. Denn gleichwohl es rustikal zur Sache geht, bedienst Du Dich mitunter eines unzeitgemäßen Vokabulars, das ein Glossar rechtfertigen würde. Wolltest Du Unbehagen und Verwirrung stiften, und wie bist Du überhaupt darauf gekommen, ein Buch zu schreiben, das auf dem Vibe von Songtexten des frühen Black Metal gründet?
Ehrlich gesagt, war es mein Ziel, das böseste Buch aller Zeiten zu schreiben. Und da passt der frühe Black Metal mit Bathory und Mayhem vortrefflich dazu. Diese düsteren Texte waren und sind für mich true Black Metal! "Die Welt des Black Metal ist keine heile und schon gar keine kuschelige Welt. In ihr spiegelt sich aber eben auch das Böse, Blutrünstige und Grausame, das in den Menschen steckt und das auch immerfort nach der Macht über andere, schwächere Menschen giert", schrieb passenderweise Ralf Julke von der Leipziger Zeitung darüber. Und er hat recht! Das Vokabular sollte in die Zeit passen, in der die Geschichte u.a. spielt: Das späte Mittelalter. Eine Zeit der Dunkelheit, des Aberglaubens, des Hexenwahns, wo Wissenschaft noch keine große Rolle spielen konnte, weil sie von der Katholischen Kirche verboten war. Zahlreiche kluge Menschen sind dem zum Opfer gefallen und wurden als Ketzer verbrannt. Dass es diese verbrecherische Organisation überhaupt noch gibt, ist eine Schande! Im Übrigen ist die Katholische Kirche die reichste Institution der Welt! Der Papst ist Billionär und ihre Verbrechen gehen weiter, nur dass sie keine Frauen mehr im Namen Gottes verbrennen, sondern Kinder missbrauchen. Aber sie sind zu reich und in der weltweiten Politik verflochten, als dass man sie abschaffen könnte. Aber zurück zu deiner Frage: Vielleicht hätte ich im ersten Teil schneller zur Sache kommen können, damit mehr Spannung entsteht, aber ich wollte einen Bogen vom jetzt zum gestern basteln, das braucht eine Weile, obwohl das Buch nur 152 Seiten zählt. Und da es zur Hälfte im Mittelalter spielt, wollte ich auch altdeutsche Sprache benutzen. Und du hast recht, an ein Glossar hatte ich auch gedacht. Aber wenn ich die ganzen jungen Leute mit ihrem permanenten Handygebrauch sehe, dachte ich mir, die können das auch googeln und selbst recherchieren. Das mache ich ja auch so. Die Zaubersprüche hatte ich ursprünglich ins Deutsche übersetzt, aber letztlich riet mir mein Freund Frank, es zu lassen. Denn wer das Lateinische übersetzen will, könnte sich vielleicht Sorgen machen, dass auch sein Handy kaputt geht, wie im Buch und er in die Geschichte mit reingezogen wird, haha. Probiert es aus!
Ohne an dieser Stelle bereits zu viel zu verraten: Hattest Du von Anfang an die Idee, Fiktion und historische Ereignisse zu verknüpfen?
Ja, das mache ich immer so. In meinem letzten Buch "Der letzte Punk" über Otze von Schleimkeim habe ich das auch so praktiziert. Ich wollte mich da reindenken und nacherzählen, wie es gewesen sein könnte. Otze war in der Forensik in Mühlhausen, ist dann für zehn Tage in einen Wald abgehauen und hat sich allein durchgeschlagen, obwohl Hunderte Bullen nach ihm suchten, u.a. mit Hubschraubern. Am elften Tag haben sie ihn gekriegt. Dann kam er unter mysteriösen Umständen ums Leben. Wie auch andere Gefangene in Mühlhausen, die ALLE medikamentiert wurden wie Versuchskaninchen. Keine Obduktion, einfach schnell einäschern und Schwamm drüber. Mir haben ehemalige Pfleger geschrieben, die das Buch gelesen haben, dass es unmenschliche Zustände gab in den forensischen Psychiatrien Ostdeutschlands nach der Wende, weil niemand wusste, was da drinnen passiert. Da ging es um viel Geld und neue Medikamente aus dem Westen, die nun auch im Osten verabreicht werden sollten. Auch wenn sie viel zu hoch dosiert waren und Herzprobleme hervorriefen. Die Insassen hatten einfach keine Lobby. Solche Geschichten interessieren mich! Genau wie die von Elisabeth Bathory. Sie steht ja im Guinness-Buch der Rekorde als größte Massenmörderin aller Zeiten. Alles, was sie im Buch veranstaltet, soll so auch in der Realität passiert sein. Es gibt erhaltene Protokolle mit Zeugenaussagen von den damaligen Gerichtsprozessen zwischen 1610 und 1612, die das belegen. Und ich wollte diese Ereignisse nachvollziehbar und erlebbar machen, eben erzählen. Es ist wirklich keine schöne Geschichte, aber sie muss trotzdem erzählt werden! Als Pendant zur Blutgräfin habe ich mir Hellgard ausgedacht, die das genaue Gegenteil ist, verletzlich und jung und aus einer anderen Zeit. Aber sie ist die Gute und bekommt mächtige Verbündete, die ihr zur Seite stehen. Wie zum Beispiel Pelle...
In meiner Rezension habe ich eine Textstelle zitiert, die mich ein wenig an romantische Waldeinsamkeit erinnerte, und mit der sicher nicht nur Black-Metal-Fans etwas anfangen können, welche der Stadt ab und zu gerne den Rücken kehren. Wie sieht das bei Dir aus – verschwindest Du gerne mal ins Grüne und nimmst Du im Black Metal – natürlich nicht ausschließlich – romantische Motive wahr?
Ich habe mein Buch in Anlehnung an "Alice im Wunderland" absichtlich "Hella im Black-Metal-Land" genannt, nur dass bei mir kein weißer Hase vorkommt, höhö. Es ist eine Erzählung voller Mystik, geheimnisvoller Wesen und spielt in einer düsteren Gegend. Die Ruine der Burg Schächtitz, wo die Blutgräfin hauste, habe ich auch besucht. Es ist ein magischer Ort in den Weiten der slowakischen Karpaten, die ein Ausläufer der rumänischen sind und somit sogar mit Transsylvanien verbunden sind. Das war mir wichtig, weil Pelle zu Lebzeiten gern mal dort gewesen wäre. Ich habe es ihm ermöglicht. Es ist eine Reminiszenz an diesen begnadeten Sänger! Er war sehr gerne alleine in der Natur unterwegs, liebte die Wälder Norwegens und schwärmte für die, wie du es nennst, romantische Waldeinsamkeit. Ich auch! Normalerweise fahre ich im Urlaub in einsame Berghütten in den Alpen auf 1800 Metern Höhe, aber dieses Jahr bereiste ich die Normandie. Naja... Es war mir einfach zu viel Sonne, zu wenig Wetter! Ich liebe die raue Bergatmosphäre, die tiefhängenden Wolken, den Regen und Nebel, den Wald und Gewitter. Die Gipfel in der Abendsonne zu betrachten, ist für mich ein vollkommener Moment! Und ich verachte Menschen, die in diese wunderschöne Natur ihren Müll und Dreck schmeißen und nicht schätzen, was für einen Wert Flora und Fauna haben! Für mich ist die Natur bei Nacht Black Metal in seiner schönsten Form.
Welche Aufnahmen hast Du beim Schreiben von "Hella…" gehört und welche Songtexte haben dabei eine besondere Rolle für Dich gespielt?
Um mich in die richtige Stimmung zu bringen, habe ich folgende Scheiben gehört: Bathory "The Return" und "Under The Sign Of The Black Mark", Mayhem "De Mysteriis Dom Sathanas", Messiah "Hymn To Abramelin", Dark Angel "Darkness Descends" und natürlich Immortal und King Diamond. Das Lied "Call From The Grave" von Bathory spielt sogar eine zentrale Rolle im Buch!
"Hella…" erscheint im Eigenverlag als Hardcover-Ausgabe für gerade mal 12 € - gehört das für Dich zum Tribut an Euronymous dazu?
Black Metal ist nichts weiter als Punk mit langen Haaren. Grenzen sprengen und sich nicht unterordnen. Da mach ich gerne mit! Das war auch die Philosophie von Deathlike Silence. Und reich werde ich sowieso nie. Das erbt man...
- Abo Alsleben - Mayhem live in Leipzig: Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte (2020)
- Abo Alsleben - Hella im Black-Metal-Land (2024)