„Müsste ich mich für eins unserer Alben entscheiden, das ich mit auf die einsame Insel nähme, es wäre 'Songs From The Big Chair'.“ (Curt Smith)

Mit „Shout“ brachten die TEARS FOR FEARS die Pop-Welt zum Beben.
Ein Song, der bis heute – 40 Jahre später – noch immer lautstark nachhallt und zum Ausdruck bringt, welch besonderes Charisma einen Hit auszeichnen sollte, der gerade in den extremen Pop-Jahren der 80er das Zeug dazu hatte, zum Evergreen zu werden und als riesige Welle durch das New-Wave-Zeitalter zu rollen:

„Shout, shout, let it all out
These are the things I can do without
Come on
I'm talking to you
Come on“

Alles rausschreien, was einen nervt.
Welch schöne und angebrachte Möglichkeit in einer Zeit, in der es keine Digitalisierung oder dümmlich-mediale Laber-Rede gab. Im Grunde ein grandioser, vorausschauender Protest-Song des Pops, der dazu auffordert, alles offen und laut rauszubrüllen, was einen in den Wahnsinn treibt. Damals wurden gefälligst noch Gefühle (statt Klicks) gezeigt, die man sehen und hören konnte. Und die für alle Welt genauso klangen wie „Shout“, dessen Video dazu unter YouTube es auf unglaubliche 244 Millionen Aufrufe brachte.

Wer nun noch weiß, dass der tränenängstliche Bandname auf einem Buch von Arthur Janov beruht, das sich mit der Urschrei-Therapie beschäftigt, für den wird der Erfolg der TEARS FOR FEARS gerade bei diesem Song beinahe schicksalhaft.

Aber auch das Album „Songs From The Big Chair“, das mit diesem längst zum Kult erhobenen Song, der noch dazu ein Länge von sechseinhalb Minuten aufwies, eröffnet wurde, erhob die schon Ende der Siebzigerjahre gegründeten TEARS FOR FEARS, die im Grunde 'nur' ein Pop-Duo, bestehend aus Curt Smith & Roland Orzabal waren, zu echten Pop-Stars, mit denen die damaligen Teenager-Kinderzimmerwände beklebt wurden. Man konnte sich einfach den Melodien und dem Gesang der Beiden nicht entziehen.

Dass sogar JOAN BAEZ gemeinsam mit den NEVILLE BROTHERS kurz darauf am 15. Juni 1986 im ausverkauften New Yorker Giants Stadium „Shout“ coverte, ließ die Aufmerksamkeit rund um diesen Super-Hit noch mehr in die Höhe schnellen.

TEARS FOR FEARS waren nunmehr zu echten Pop-Titanen geworden, selbst wenn sie das bei diesem unglaublichen Anspruch ihrer abwechslungsreichen Musik und Texte nie sein wollten und bei denen sogar der besonders durch KING CRIMSON bekannt gewordene Sänger und Saxophonist Mel Collins wichtige Sounds und Rhythmen am Saxophon beitrug. Die BRAVO-Cover-Boys waren eigentlich unfreiwillig zur heißen Nummer aller Poster-Gazetten geworden. Denn schließlich sahen Smith & Orzabal außerdem noch richtig 'geil' aus und ließen garantiert jede Menge kleine Mädchen-Herzen höher schlagen. Wahrscheinlich wurde auch deswegen das damals geplante LP-Cover durch ein anderes mit ihren beiden Konterfeis ersetzt.

Dass „Songs From The Big Chair“ zudem mit „Everybody Wants To Rule The World“, welches in Amerika 1985 sogar zum bekanntesten Lied des Jahres gewählt worden war, gleich noch einen zweiten Mega-Hit besitzt, spülte das Album an die Spitze der europäischen und amerikanischen Charts, sodass es sich über achtmillionenmal verkaufte.

Zudem wird „Songs From The Big Chair“ als eins der ersten Alben ausgewählt, das für den damals sensationell geltenden neuen Tonträger 'Compact Disc' – kurz CD – zur Verfügung gestellt wird und auch hier seine eigene Erfolgsgeschichte schreibt, die sich nun aus Anlass des 40-jährigen Album-Jubiläums wieder als ganz besondere, speziell remasterte Vinyl-Pressung unter dem Titel „Songs From The Big Chair - 40th Anniversary 2LP-Edition“ fortsetzt.

TEARS FOR FEARS weisen selber auf ihre Einflüsse hin und stellten in diversen Veröffentlichungen fest, dass sie während der Entstehung ihres Albums viel FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD und THE BLUE NILE, aber auch „Born In The USA“ vom BOSS hörten. Explizit geht Orzabal auf „I Believe“ ein, bei dessen Entstehung er ROBERT WYATT im Hinterkopf hatte, dem er diesen Song dann widmet.

Da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, trifft dies unter dem Hit-Aspekt auch auf „Songs From The Big Chair“ zu: „Head Over Heels“ vollendet den Hit-Dreier mit einer weiteren Pop-Nummer, die sich sofort als Ohrwurm in den Gehörgängen festsetzt und darin dauerhaft einschließt. Obwohl die TEARS FOR FEARS bereits mit „Mad World“ ihr grandioses Hit-Gespür auf ihrem 1983er-Album-Debüt „The Hurting“ bewiesen, vollenden sie dieses nun zwei Jahre später. Allerdings setzen sie eben nicht nur auf Hits, sondern breit gefächerte stilistische Qualität: fetter Bombast, new-waveiger Synthie-Pop, akustische Traumsequenzen, progressiv Rockendes und emotionale Balladen, die einem die Tränen in die Augen treiben – alles ist dabei.

„Songs From The Big Chair“ ist eins der absoluten Vorzeige-Alben der 1980er und garantiertes Top-10-Album des Jahres 1985.

Nun also kommt mit „Songs From The Big Chair - 40th Anniversary 2LP-Edition“ eine feine Geburtstagsedition auf den Markt. Speziell remastert und von Vinyl großartig klingend. Deutlich besser und mit einer verbesserten Kanaltrennung sowie Höhen- und Tiefen-Aussteuerung als die Original-LP, die im Vorfeld der Review vom Kritiker als erstes noch einmal genauestens gehört wurde. Und dass dieses Album selbstverständlich auch in seinem Original in jede gut sortierte Plattensammlung gehört und selbst ein Steven Wilson ihm verfallen ist (und aus Anlass des 30. Geburtstags eine 4-CD+2-DVD-Box veröffentlichte), sollte wohl allseits bekannt sein.

Eine besondere Spannung ruft bei jedem Sammler garantiert die neu hinzugekommene zweite LP wach, welche wie die erste ebenfalls auf transparent-rotes Doppel-Vinyl gepresst wurde.
Hier erklingen in der genau gleichen Reihenfolge wie auf der Original-LP alternative Versionen aller Songs, beginnend mit dem 'Alternative Mix' von „Shout“ und endend mit dem 'Clean Intro' von „Listen“, wobei sechs der acht Songs erstmals auf Vinyl erscheinen. Somit kommt wohl kein akribischer Sammler an dieser rot-vinyligen Geburtstagsedition „Songs From The Big Chair - 40th Anniversary 2LP-Edition“ herum.

Allerdings hört man den Bonusstücken stellenweise ihre 'unfertige' Variante an. „Shout“ bricht beispielsweise ziemlich abrupt ab oder „Everybody Wants To Rule The World“ hat die Bläser-Passage etwas zu deutlich in den Vordergrund gemischt.
Der frühe Mix von „Mothers Talk“ wiederum haut einen als Instrumental voller Progressivität und Drive regelrecht um – und entwickelt sich zum unerwarteten Highlight für alle, denen besonders der progrockige Geist der TEARS FOR FEARS zusagt.

Und dass die Jungs jede Menge mit Prog am Hut haben, war niemals ein Geheimnis, weswegen wohl auch ein Steven Wilson so begeistert von dieser Band ist.
In die gleiche Kerbe wie die mütterliche Rede schlägt „I Believe (A Soulful Re-Recording)“ mit herrlich jazzigem Saxophon-Solo, das sich dann im „Broken“-Demo fortsetzt und locker mit MEL COLLINS die KING CRIMSON-Pfade einzuschlagen scheint.
Gerade diese kleinen, manchmal nur feinen, aber auch großen, offensichtlichen Unterschiede zu den Originalen machen die unverzichtbare Stärke dieser zweiten LP aus, die insgesamt herrlich experimentell ausfällt.
Besonders die LP-B-Seite der zweiten LP wirkt wie der TEARS FOR FEARS-Versuch, unbedingt ein Album aus Prog- und Jazz-Rock hinzuzaubern, das durchaus mit den echten Prog-Szene-Größen mithalten kann. Unfertigkeit hin oder her. Man spürt auf dem roten Vinyl genau die Entwicklung, die am Ende zu dem meisterhaften Original führte, welches ja ebenfalls viel musikalischen Freigeist versprüht.
Dass dies alles endlich auf Vinyl erscheint, ist tatsächlich ein Glücksgriff, denn hier wird nichts glattgebügelt oder unnötig aufgepeppt, dafür aber stereo-technisch bestens abgemischt und mit „Listen (Clean Intro)“ zum ganz großen (an KATE BUSH erinnerndem) Soundspektakel-Finale vorangetrieben.

FAZIT: Es ist ein echtes Insel-Album, das gerade seinen 40. Geburtstag feiert: „Songs From The Big Chair“ von TEARS FOR FEARS. Mit dieser großartigen limitierten Doppel-LP auf rotem Vinyl „Songs From The Big Chair - 40th Anniversary 2LP-Edition“ gibt es noch einen ganz besonderen vinylen Zuschlag, der das bisher unveröffentlichte originale, recht abstrakte Artwork und lauter auf Vinyl nicht erhältliche Titel enthält, sodass die zweite LP nicht nur jede Menge Raritäten mitbringt, sondern durch ihre Limitierung für jeden Sammler selber zur wertvollen Rarität werden kann.

PS: Und hier noch die genaue Übersicht zur 3-CD-Ausgabe des Albums:

DISC ONE: Original Album & B-Sides
1 Shout (6:32) Audio Original album
2 The Working Hour (6:31) Audio Original album
3 Everybody Wants To Rule The World (4:11) Audio Original album
4 Mothers Talk (5:06) Audio Original album
5 I Believe (4:55) Audio Original album
6 Broken (2:38) Audio Original album
7 Head Over Heels (5:02) Audio Original album
8 Listen (6:53) Audio Original album
9 The Big Chair (3:21) Audio B-side to Shout.
10 Empire Building (2:52) Audio B-side to Mothers Talk.
11 The Marauders (4:15) Audio B-side to The Way You Are.
12 Broken Revisited (5:16) Audio Bonus track on the ltd ed of Songs From The Big Chair.
13 The Conflict (4:04) Audio B-side to Change
14 The Working Hour (Piano Version) (2:08)
15 Pharaohs (3:41) Audio B-side to Everybody Wants To Rule The World.
16 When In Love With A Blind Man (2:23) Audio B-side to Head Over Heels.
17 Sea Song (3:53) Audio B-side to I Believe (A Soulful Re-Recording) in the UK and to the re-recorded version of Mothers Talk in the US.

DISC TWO: Edited Songs From The Big Chair
1 The Way You Are (4:55)
2 Mothers Talk (Short Version) (3:54)
3 Shout (Alternative Version) (6:00)
4 Everybody Wants To Rule The World (Single Version) (4:12)
5 Head Over Heels (Dave Bascombe 7" N.Mix)
6 I Believe (A Soulful Re- Recording) (4:42)
7 Everybody Wants To Run The World (4:34)
8 The Way You Are (Edit) (4:21)
9 Mothers Talk (U.S. Remix) (4:14)
10 Shout (U.S. Single Edit) (4:06)
11 Everybody Wants To Run The World (Running Version) (4:33)
12 Head Over Heels (Hughes 7" Edit)
13 Mothers Talk (Video Version) (4:47)
14 Shout (7" Edit) (4:47)
15 Listen (Clean Intro) (6:52)
16 Interview With Curt & Roland (7:36)



DISC THREE: Remixed Songs From The Big Chair
1 The Way You Are (Extended) (7:41)
2 Mothers Talk (Long Version) (6:17)
3 Shout (UK Version / Extended Version) (7:42)
4 Everybody Wants To Rule The World (Extended Version) (5:40)
5 Broken / Head Over Heels / Broken (Preacher Mix) (8:01)
6 Mothers Talk (Beat Of The Drum Mix) (8:56)
7 Shout (Extended) (8:00)
8 Everybody Wants To Rule The World (Urban Mix) (6:01)
9 Mothers Talk (Alternate U.S. Remix) (4:12)
10 Shout (US Dub Version) (6:48)
11 Everybody Wants To Rule The World (Instrumental) (4:23)
12 Shout (Acapella)