Nach einem halben Jahrzehnt, das er dauerhaft auf der Überholspur verbrachte, musste AVI KAPLAN die Notbremse ziehen und sich seiner Wurzeln besinnen - verwandtschaftlicher wohlgemerkt, denn das Privatleben des Sängers, der mit der A-Capella-Formation Pentatonix Weltruhm erlangte und dreimal mit dem Grammy ausgezeichnet wurde, hatte seine Familie während jener Zeit zwangsläufig vernachlässigt und sich im Zuge dessen auch von sich selbst entfremdet.

Singen gegen den Weltschmerz, dieses Motto schien die einzig wägbare Gangart zu sein, um überleben zu können … AVI KAPLAN hat mit seiner neuen EP ein zutiefst spirituelles Ausnahmewerk abgeliefert, auf dem sich gängige Americana-Stilmittel mit einer über geografisch respektive kulturelle Grenzen hinaus allgemeingültigen Botschaft vereinen, die nicht weniger sagt als: "Geht in euch, seid ehrlich zu eurem Wesen und wachst just dadurch über euch hinaus."

Manch andere "normalsterbliche" Musiker machen aus 26 Minuten Musik ein neues Album, wohingegen sich das ehemalige Mitglied der A-cappella-Gruppe Pentatonix bescheiden gibt und seine neuen Songs als Mini-LP zusammenstellt. Das von Mike Mogis (Bright Eyes, Conor Oberst, First Aid Kit) produzierte Material wurde während einer dringend notwendigen Auszeit aufgenommen, die Avi in einem Wald in Tennessee verbrachte, um zurück zu sich selbst zu finden, und changiert zwischen Niedergeschlagenheit und - vor allem - einem Aufbegehren, das alle für emotionale Musik empfängliche Menschen als Aufforderung zur persönlichen Weiterentwicklung verstehen sollten.

"I'll Get By" bekräftigt mit Nummern wie dem stampfenden Gospel 'It Knows Me' oder 'Full Moon', einem minimalistischen Rausch und dem zugleich längsten Track der EP, in unverhofftem Maß und bleibt als vorerst nur digital zugängliches Werk eigentlich hinter seinem Potenzial zurück, denn …

FAZIT: … viel mehr Aufmerksamkeit müsste AVI KAPLAN für seine Leistung zuteil werden, die unter mangelndem Selbstbewusstsein leidende und unterdrückte (ob unbewusst oder wirklich) Majorität mittels Musik zu bestärken. Wer nordamerikanische Musikkultur schätzt und sich dabei ständig über oberflächliches Geplänkel ärgert, wird sich an dieser EP auf längere Sicht hin nicht satt hören.