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Various Artists: Hootenanny in Ost-Berlin (Review)

Artist:

Various Artists

Various Artists: Hootenanny in Ost-Berlin
Album:

Hootenanny in Ost-Berlin

Medium: CD/Buch
Stil:

DDR-Folk- und Liedermacher-Bewegung nach amerikanischem Vorbild

Label: Bear Family Records / In-Akustik
Spieldauer: 79:29
Erschienen: 24.03.2016
Website: [Link]

Tauchen wir ganz tief ein in die finstere Vergangenheit der DDR und erinnern uns gemeinsam an eine Musikbewegung, die dort für kurze Zeit in den 60er-Jahren etwas Hoffnung verlieh, dass sich die Ost-Musikkultur etwas mehr dem internationalen Markt öffnen würde. Diese Hoffnung wurde dann bereits 1967 mit dem Beschluss des ZK der SED zur „Bekämpfung des Westdralls“ und dem Kampf gegen „Tendenzen der Amerikanisierung auf dem Gebiet der Kultur“ begraben.
Dazwischen gab es den Hootenanny.
Längst vergessen, doch plötzlich mit dieser CD und dem ausführlichen 40-seitigen Begleitheft „Hootenanny in Ost-Berlin“ wieder aus der Versenkung geholt. Ein Glück für alle, die sich noch ein wenig mit der Musik eines Landes beschäftigen, das man 1990 aus den Annalen der Zeitgeschichte strich, indem man ein D gegen ein B austauschte und die beiden Buchstaben D und R einfach die Seite wechselten. So wurde aus der DDR die BRD und das erste, was dabei in Vergessenheit zu geraten schien, war leider die Kultur bzw. die Musik. Wobei doch gerade die immer ein wenig den Kampf gegen die permanente Zensur der DDR-Diktatur auftrechterhielt. Und der „Hootenanny“ war ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man es nun wieder auf dieser liebevoll aufgearbeiteten, pickepackevollen CD (Fast 80 Minuten!) samt eingeklebtem Büchlein, inklusive der Entstehungsgeschichte und vielen historischen Aufnahmen sowie die Vorstellung aller darauf vertretenen Künstler, nachhören und nachlesen kann.

Darum hier ein ganz kurzer Abriss.
Eigentlich war der Hootenanny eine Musik-Bewegung aus Amerika, bei der sich seit der 40er-Jahre eine links gesinnte New Yorker Folk-Szene jeden Sonntag zum zwanglosen Musizieren traf. PETE SEEGER war diesbezüglich einer der Mitbegründer und sogar BJÖRN ULVAEUS von ABBA ging später mit daraus hervor. In die DDR gelangte diese Bewegung durch den kanadischen Folksänger PERRY FRIEDMAN, der nach Seegers Vorbild musizierte und seit 1959 in Ost-Berlin lebte, wo er diese Bewegung mit ostdeutschen Künstlern nach amerikanischem Vorbild initiierte. Sogar ein Hootenanny-Club entstand so, der dann aber nach der radikalen DDR-Zensuren-Kur von Musik und Kultur Mitte der 60er-Jahre in den Oktober-Klub umgewandelt wurde. Nach den Unruhen um den Auftritt der ROLLING STONES in Berlin, bei dem am 15. September 1965 in der Waldbühne so einiges zu Bruch ging, bekam die DDR große Angst vor dem Beat und allem, was nicht in deutscher Sprache gesungen wurde, sodass sie bereits im Herbst 1965 damit begannen, alles, was nur nach Beat roch oder nicht deutsch gesungen wurde, zu bekämpfen. Unfassbar, was beispielsweise das NEUE DEUTSCHLAND (Zentrales DDR-Presseorgan) nach besagtem Konzert schrieb: "Die fachmännisch inszenierte Massenhysterie dient niemals der Jugend, sondern der Kriegsvorbereitung. Die Schlacht in der Waldbühne soll auf lebensgefährliche Schlachten vorbereiten. Vernebelte Köpfe und nackte Gewalt waren schon immer die besten Bundesgenossen derer, die Deutschlands Jugend in zwei Weltkriege trieben."

Eins der ersten Opfer bei diesem „Musik-Krieg der DDR gegen seine eigenen Musiker“ wurde der Hootenanny und dann folgten Liedermacher wie WOLF BIERMANN oder eine Band wie RENFT!

Bis dahin waren aber schon von AMIGA drei LPs mit dieser Musik veröffentlicht worden, von denen größtenteils die hervorragend remasterten Songs auf dieser CD stammen. Die LPs verschwanden dann ganz schnell in den ostdeutschen Giftkellern der DDR wieder. Doch nun gibt‘s ja „Hootenanny in Ost-Berlin“ und wird garantiert jeden Historiker und Nostalgiker absolut glücklich machen - völlig entgiftet, aber noch immer mit dem herrlich-freiheitlichen Antikriegs- und Protest-Musik-Virus versehen!

Am Ende darum noch ein kurze Geschichte zu dem tragischsten und dem erfolgreichsten „Helden“ auf dieser CD, die neben BETTINA WEGNER, PETE SEEGER, DORIT GÄBLER, dem OKTOBER-KLUB, PERRY FRIEDMAN und vielen anderen hier mit vertreten sind.
Beginnen wir mit dem erfolgreichsten, also MANFRED KRUG, der, was viele BRD-Leutchen gar nicht wissen, in der DDR nicht nur Schauspieler, sondern auch einer der erfolgreichsten Jazz-Sänger war, bis er die DDR verließ, weil man ihn mit Repressalien überschüttete, da er eine öffentliche Petition gegen die BIERMANN-Ausweisung mit unterschrieben hatte und trotz großem Druck seine Unterschrift nicht zurückzog. Dann wurde er im Westen der große TATORT- und LIEBLING KREUZBERG-Serienheld, der ab und zu sogar im Tatort noch singen durfte, aber der wohl so einige auch mit seiner vertrauensvoll geheuchelten T-Aktien-Werbung ins finanzielle Unglück stürzte und damit zugleich seinen eigenen Reichtum mehrte. Seinem enormen Bekanntheitsgrad tat das nie einen Abbruch. Übrigens singt Krug mit „Ballade vom Briefträger William L. Moore“ auch einen Biermann-Song auf diesem Sampler!

Ihm gegenüber steht KURT DEMMLER voller, wohl selbst verschuldeter, Tragik. Auch er hatte beispielsweise die BIERMANN-Petition unterschrieben, blieb aber in der DDR, wo er als Arzt, Liedermacher und Texter tätig war. Besonders seine Texte waren nicht nur hervorragend geschrieben und kritisch, sondern zugleich sehr erfolgreich. So schrieb er auch für SILLY oder maßgeblich am symphonischen Rock-Meisterwerk „Weißes Gold“ der STERN-COMBO MEISSEN mit. Auch sein Doppel-Album „Die Lieder des Kleinen Prinzen“ wurde begeistert aufgenommen. Allerdings ließen die Erfolge deutlich nach, nachdem 1989 die Mauer gefallen war. Das schlimmste aber war, dass er, der Arzt, 2002 zum ersten Mal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurde und 2008 sogar aus dem gleichen Grund in Untersuchungshaft kam und man ihm den Prozess machen wollte, dem er sich zwei Tage vor seinem zweiten Verhandlungstag entzog, indem er sich in seiner Zelle in Moabit am 3. Februar 2009 erhängte. Da auch ich KURT DEMMLER persönlich kannte, brauche ich wohl sicher nicht näher zu beschreiben, wie entsetzt ich war, als ich erst von den Vorwürfen gegen ihn und dann von seinem Suizid erfuhr. Demmler war bis dahin besonders durch seine Texte nämlich so eine Art moralische Instanz erst in der DDR und dann im wiedervereinten Deutschland geworden. Des Menschen (Irr-)Wege sind eben unergründlich!

FAZIT: „Hootenanny in Ost-Berlin“ ist ein Stück fast vergessen geglaubter DDR-Musikgeschichte, welche in dieser liebevollen Aufmachung und Auswahl ein dauerhaftes, beeindruckendes Denkmal gesetzt wird!
Absolute Top-Empfehlung für alle, denen ihre eigene Kultur- und Musik-Geschichte oder die ihrer Landsleute noch nicht völlig egal ist!

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 2806x gelesen, veröffentlicht am )

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  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Tracklist:
  • PERRY FRIEDMANN:
  • Tumbalalaika
  • Careless Love
  • Zwischen Berg und tiefem Tal
  • LIN JALDATI:
  • As der Rebbe weijnt
  • Wenn die Lichter wieder brennen
  • GERRY WOLFF:
  • Kling-klang
  • Treue
  • MANFRED KRUG:
  • Es geht eine dunkle Wolke herein
  • Ballade vom Briefträger William L. Moore
  • FRED FROHBERG:
  • Joshua Fit The Battle Of Jericho
  • Das Lied von der Kirchblüte
  • CHRISTEL SCHULZE & KLAUS SCHNEIDER:
  • Zogen einst fünf wilde Schwäne
  • Liebeslied
  • HORST SCHULZE:
  • Ballade vom Weib und dem Soldaten
  • WOLFGANG DEHLER:
  • Brasilianisches Volkslied
  • BETTINA WEGNER:
  • Jan
  • BERND WALTHER:
  • Und der Wind streicht mir sanft durch die Haare
  • HOOTENANNY-KLUB BERLIN / OKTOBER-KLUB:
  • Knüpflied auf eine Unruhestifterin
  • Es saß ein schneeweiß Vögelein
  • Ech jablotschko
  • Venezolanisches Marktlied
  • Schau her (Lied von der friedlichen Welt)
  • Sag mir, wo du stehst
  • DORIT GÄBLER:
  • Der Herbst steht auf der Leiter
  • Das Ende des Osterhasen
  • KURT DEMMLER:
  • Davon, was diesem und jenem Mädchen beim Wäscheaufhängen passieren kann
  • Pas de deux im Zwiebelmond
  • Zart soll es bleiben
  • TEAM 4 / THOMAS NATSCHINSKI & SEINE GRUPPE:
  • Die Straße
  • Denn sie lehren die Kinder
  • REINER SCHÖNE:
  • Liebste, Liebste, schläfst Du noch?
  • Ledernacken-Blues
  • PETE SEEGER:
  • Turn! Turn! Turn!
  • If I Had A Hammer

Besetzung:

Interviews:

  • keine Interviews
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