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Rock im Revier 2015 - Samstag - ArenaPark, Gelsenkirchen - 30.05.2015
Der Samstag zeigt sich morgens von seiner wechselhaften Seite: nachdem zunächst die Sonne Hoffnung auf einen trockenen Tag macht, ziehen um die Mittagszeit einige Regenschauer über Gelsenkirchen. Gut, dass zunächst ORCHID auf dem Programm stehen, die ordentlich von der kurzfristigen Absage der Modern Metaller CHEVELLE profitieren. Statt auf der Boom Stage dürfen die BLACK SABBATH-Jünger heute auf der Big Stage ran und vermehrfachen damit mal eben die zu erreichende Zuschauermenge. Ob sich das aber letztendlich auszahlt, darf dann doch bezweifelt werden, denn so richtig will der Retro Doom Rock nicht zum Rest des heutigen Hauptbühnenprogramms passen. Gemessen an der Größe der Big Stage weiß auch nur Bassist Keith Nickel angemessen die Rampensau zu spielen, alle anderen agieren wie gewohnt zurückhaltend und lassen die Musik für sich sprechen. ORCHID wirken einfach deplatziert und hätten in der Emscher-Lippe-Halle einen passenderen Rahmen für ihre Show gefunden.
Trotzdem spielen sich die Amis fachmännisch durch ein Set, das den beiden bislang veröffentlichten Alben ein hohes Qualitätslevel attestiert. Songs wie ‚Capricorn‘ und ‚Eyes Behind The Walls‘ lassen die 70er wieder aufleben und können teilweise sogar an die Ohrwurmfähigkeit ihrer großen Vorbilder anknüpfen. Dazu passt der Look und das Setting des Quartetts, das mit Schlaghosen, langen Haaren, Tamburin und eingestöpselten Vintage-Instrumenten retro aussehen und klingen. Nur der Sound in der Veltins Arena passt mal wieder nicht zum Dargebotenen, die feinen Nuancen, die Nickel seinem Bass entlockt, sind leider nur an seinen aufwändigen Griffdarbietungen zu erkennen. Einen richtigen Punch können ORCHID aber auch aufgrund der zu leise geregelten Gitarre nicht entwickeln. Es hätte also besser laufen können, aber vielleicht haben sich ja doch ein paar neue Fans gefunden, die sich von den Amis bei der nächsten Tour in einer weitaus kleineren Venue überzeugen lassen.
Danach führt der Weg ein weiteres Mal zur Boom Stage, auf der PARADISE LOST ein 45-minütiges Set präsentieren. 15:20 Uhr, die Sonne scheint, vorher gab es Pop, danach BABYMETAL, sprich: die Rahmenbedingungen sind auch hier nicht ideal. Aber der Gig ist sowieso eher als Promoaktion für das neue Album „The Plague Within“ zu verstehen, das tags zuvor erschien. In unserer Massenreview stieß die Rückkehr zu alten Trademarks auf ein geteiltes Echo, dem Livebetrieb kommt das neue Material jedoch zu Gute. ‚No Hope In Sight‘ und ‘Terminal’ feierten gestern bei Rockavaria ihr Debüt und fügen auch der heutigen Show genauso wie das ebenfalls neue ‘Victim Of The Past’ ein paar Schwarzschattierungen hinzu. Der barttragende, kurzgeschorene Nick Holmes hat bei seinen ersten Erfahrungen außerhalb von PARADISE LOST Blut geleckt (oder doch in rauen Mengen konsumiert?) und growlt nun in bester BLOODBATH-Manier wieder häufiger ins Mikro. Den zu den von Hoffnungslosigkeit geprägten Texten passenden Musikanteil stellt Greg Mackintosh bereit, der mit seinem Nebenprojekt VALLENFYRE ebenfalls wieder Death Metal-Wurzelsuche betreibt.
Die Anleihen aus Doom, Death und teilweise sogar Black Metal im typischen PARADISE LOST-Gewand machen die Show abwechslungsreicher, obwohl ja auch schon auf dem Vorgänger „Tragic Idol“ der Härtegrad etwas nach oben geschraubt wurde. Komisch wirkt es da erst mal, dass das letzte Album völlig ausgeklammert wird und auch von ‚Faith Divides Us – Death Unites Us‘ nur der Titeltrack gespielt wird, andererseits sind die neuen Songs zur Kreuzung mit dem alten, am innigsten geliebten Material gedacht. Davon gibt es heute aber wiederum nur ‚Gothic‘ und ‚Hallowed Land‘ zu hören, ansonsten zeigen sich PARADISE LOST bemüht der wieder mal recht überschaubaren Menge an Festivalbesuchern vor der Open-Air-Bühne einen möglichst breiten Einblick in die härteren Phasen der Bandgeschichte zu geben. Die Sonne scheint die fünf Musiker nicht zu stören, obwohl ihr bleicher Teint und die durchweg schwarze Kleidung auf andere Gewohnheiten schließen lässt. Ganz im Gegenteil sorgt der trockene, britische Humor von Nick Holmes auf wie vor der Bühne für gute Laune, am minimalen Bewegungsdrang der Band ändert aber auch er nichts. Rockstargehabe und –gepose steht den Briten nicht, ein bisschen mehr Interaktion hätten sie aber doch suchen können.
Fast vergessen könnte man, dass Adrian Erlandsson heute gar nicht am Schlagzeug sitzt. Der Workaholic hat sich diesen Sommer für Dates mit AT THE GATES und THE HAUNTED entschieden, die mit denen von PARADISE LOST unvereinbar kollidierten. Im gerade mal zwanzig Jahre alten Waltteri Väyrynen, der auch bei VALLENFYRE zu überzeugen weiß, hat man einen bärenstarken Ersatz gefunden, der sowohl alte als auch neue Gassenhauer ohne Fehl und Tadel runtertrommelt. Am Ende steht ein routinierter Gig, der aber nicht an die Konzerterfahrung heranreicht. Darauf bereiten sich PARADISE LOST zum Glück gerade vor, denn die Promoarbeit wirkt zuweilen doch etwas arg aufgesetzt. Dazu gehört vor allem der Deal mit dem Merchvertrieb EMP, für den die Briten in den kommenden Tagen statt Konzerte Autogrammstunden in drei deutschen Städten geben. Das Ganze endet in einem exklusiven Konzert im Bielefelder Forum, bei dem Album und Ticket im Verbund erworben werden müssen. Der ganze Spaß kostet zwar nur 30€ und zeigt die Band, wie sie zum ersten Mal das komplette Album am Stück darbietet, so richtig begeistert das Konzept aber nicht.
Bei der Rückkehr zur Hauptbühne fällt auf, dass auf das angenehme Wetter reagiert wurde: Das Dach der Veltins Arena ist nun geöffnet, um ein wenig mehr Open Air-Feeling zu schaffen. BONAPARTE werden sich bedanken, denn in ihr verrücktes Set stecken die Indie-Rocker viel Bewegung und Schweiß. Fast genauso bunt und kontrovers geht es gerade auf der Boom Stage zu, BONAPARTE lassen jedoch erahnen, dass sich hinter den wilden, von Tänzerinnen unterstützten Shows ein wertvolleres Konzept verbirgt als bei den JapanerInnen von BABYMETAL. Die attraktiven Damen aus der deutschen Hauptstadt dürfen in ihren schrägen Kostümen Fahrrad fahren, Ausdruckstanz darbieten und mit Schampus spritzen, aber trotz viel nackter Haut mag das ganze Spektakel nicht als sexy empfunden werden. Tobias Jundt und seine Kolleginnen euphorisieren, prangern an, klagen sich selbst an und das alles innerhalb einer Dreiviertelstunde. Es wird nicht immer klar, worauf das 20 Personen umfassende Projekt hinaus will, dafür ist es mit seinem künstlerischen, avantgardistischen Anspruch aber auch gar nicht zuständig.
Wem das zu viel Kopfarbeit und Gesellschaftskritik ist, der kann auch einfach staunen und tanzen, denn BONAPARTE haben auf ihren vier bislang veröffentlichten Alben einige Hits platzieren können. Zwar läuft man beim unreflektierten Mitsingen Gefahr sich selbst zu enttarnen, ‚Too Much‘, ‚Anti Anti‘, ‚Wir sind keine Menschen‘ oder ‚Computer in Love‘ laden mit ihren eingängigen Aufbauten und elektronisch unterstützten Beats aber schelmisch dazu ein. Jetzt müsste nur noch das passende Publikum anwesend sein, denn obwohl später noch THE HIVES, INCUBUS und MUSE auftreten, ist die Arena noch relativiert leer und die meisten Zuschauer schwarz gekleidet. Dass auch der ein oder andere Kuttenträger zum Tanzen animiert wird, spricht aber genauso für die WahlberlinerInnen wie die Auswahl der Musiker. Der Schweizer Frontmann umgibt sich mit drei jungen Künstlerinnen, die Schlagzeug, Bass, Gitarre und Synthesizer bedienen, was auch heute die Frauenquote nach oben schnellen lässt. Das passt perfekt ins Bandkonzept, denn die Frauen sind nicht nur bildhübsch, sondern können auch mächtig rocken.
Wie gestern bei TESTAMENT bleibt für THE HIVES nur Zeit für die ersten paar Songs, denn ein Besuch von BRANT BJORK ist fest eingeplant. Die wenigen Minuten reichen allerdings, um einen guten Eindruck von der schwedischen Highenergy-Show zu bekommen. Das leuchtende Backdrop ist ein echter Blickfang, mit die sich die Band ein wenig selbst auf Schippe nimmt, den das Fünfgestirn aber eigentlich gar nicht nötig hat. Der popaffine Garage Rock Punk wird energiegeladen und stadionwürdig genug interpretiert. Frontmann Pelle Almqvist gibt den Animateur und zieht bei seiner Performance alle Rockregister. Da werden Mikros am Kabel durch die Luft geschwungen, die Frontboxen erklommen und ein Bad in der Menge genommen, da sind gerade mal fünf Minuten gespielt. Die Songs sind ohnehin nicht allzu lang, weswegen die Schweden eine Vielzahl an Hits im Set unterbekommen.
Genauso energiegeladen wie der Frontmann agiert Gitarrist Nicholaus Arson (der hinter der Rockstarfassade auch Almqvist heißt und Pelles Bruder ist), der ordentlich Stoff gibt und allerhand irre Posen und Grimassen auf Lager hat. Für die beiden Derwische ist die Bühne fast schon zu klein, sie suchen nach immer neuen Orten auf und vor der riesigen Big Stage und lassen sich auch gerne mal vor den großen Videoleinwänden an den Seiten sehen. Dahinter verblassen die anderen THE HIVES-Mitglieder ein bisschen, dafür liegt bei ihnen die Hauptarbeit für den professionellen Sound. Heute haben sich die Fünf für weiße Anzüge entschieden, Zylinder und weitere Accessoires sind zuhause geblieben. Und auch wenn die Alben des Fünfers gerade in letzter Zeit kaum mehr überzeugen können: THE HIVES sind live eine Bank.
Für den Weg zur Emscher-Lippe-Halle sollten ebenfalls mindestens fünfzehn Minuten eingeplant werden. Die Halle ist Teil des ArenaParks, gehört jedoch zum Gebäudekomplex Sportparadies, für das die Stadtwerke Gelsenkirchen verantwortlich sind. Die Kooperation lässt sich die Stadt aber nicht entgehen, schließlich finden in der Eishockeyhalle nur selten Konzerte statt, dafür ist die traditionsbehaftete Konkurrenz im Ruhrgebiet namens turock, Matrix und Zeche Carl einfach zu groß. Mit Platz für knapp 3000 Besucher muss sich zudem auch erst mal eine Band finden, die nicht zu groß und nicht zu klein für einen geregelten Betrieb der Halle ist. Obendrein ist das Gebäude nicht sonderlich schön, die gelben Sitzschalen für den Eishockeybetrieb gehören eigentlich mal ausgetauscht. Heute mutiert das Ding zu einem Mekka für alle Doom- und Stoner-Fans: Wie gesagt, ORCHID hätten hier besser unterkommen können, denn mit TRUCKFIGHTERS, ORANGE GOBLIN, SAINT VITUS und BRANT BJORK ist so ziemlich alles da, was innerhalb des Genres Rang und Namen hat und gerade auf Tour ist.
Die Auslastung zeigt aber einmal mehr, dass das Konzept der Veranstalter nicht aufgeht. Ein paar hundert Fans haben sich eingefunden, um BRANT BJORK die Ehre zu erweisen. Mit eingerechnet sind die Jungs von KVELERTAK, die vor ihrem Headlinegig auf der Bang Stage dem Legendenreigen mit einem leckeren Pils in der Hand Tribut zollen. Eigentlich hätten hier zusätzlich alle stehen sollen, die sich gerade nicht um den Indie Rock in der Veltins Arena oder die Neue Deutsche Härte von EISBRECHER auf der Boom Stage scheren. Die thematische Ausrichtung der Bühne ist gerade für Metalfans zweifelsohne gelungen, doch wer alle Legenden sehen will, der muss für ein Tagesticket satte 70€ und für die 3-Tages-Variante 180€ berappen. Natürlich wird die Bühne über das Solidaritätsprinzip durch alle Festivalbesucher finanziert, doch gerade weil alle drei Stages für sich selbst stehen und die verbindenden Wege für Nicht-Besucher offenstehen, wären seperate Veranstaltungsortkarten eine interessante Alternative gewesen. So bleibt die Emscher-Lippe-Halle Berichten zufolge das ganze Wochenende über relativ leer, weil die meisten nur für die Topacts kommen und die wirklichen Publikumsgaranten wie KVELERTAK und SICK OF IT ALL gegen die Headliner anspielen müssen. Häufig ist zu vernehmen, das viele sogar nur Tageskarten für Freitag und Sonntag erworben haben, weil sie damit immer noch 40€ weniger bezahlen als für alle drei Tage und Muse auf diese Weise entgehen. Da muss nächstes Jahr nachgebessert werden, denn das kann nicht im Sinne der Veranstalter sein.
Wie dem auch sei: „Black Power Flower“ heißt das Ende letzten Jahres erschienene Album des ex-KYUSS-Drummers BRANT BJORK und seiner Low Desert Punk Band und hält genau das, was sein Titel verspricht. Eine entspannte, drogengeschwängerte Atmosphäre trifft auf Fuzz und lupenreinen BLACK SABBATH-Doom. Mr. Bjork hat sich eine schlagfertige Mannschaft zusammengestellt, die eine prima Ersatzdroge für die ¾-KYUSS-Band VISTA CHINO ist, die gerade pausiert. Genau wie JOHN GARCIA hat BRANT BJORK viel zu tun, fühlt sich auf der Bühne aber immer noch am wohlsten. Spieltechnisch ist das Quartett auf höchstem Niveau und fügt den staubtrockenen Kompositionen eine analoge Wärme hinzu. Für die acht Songs nehmen sich die Vier genügend Zeit und reichen in den entspannten Jams reihenweise Vorschläge für die geschmackssicherste Idee des Tages ein. Egal, ob die Gitarrensoli, die Ausflüge des Basses in die Wüste oder das variable Schlagzeugspiel, das hier ist alles, nur nicht Dienst nach Vorschrift. Der Sound in der Emscher-Lippe-Halle schlägt den auf den anderen Bühnen, weil er der am einfachsten zu regelnde ist. Er hält genug Transparenz bereit, um dem interessierten Zuhörer alle Details offenbaren zu können. Die Stimmung vor und auf der Bühne ist hervorragend, es wird viel gelacht und mitgemacht. BRANT BJORK und seine Band laden zum Träumen und zum Eintauchen in die entspannte Südstaaten-Atmosphäre ein, bieten aber auch genügend Möglichkeiten zum Mitrocken und Abfeiern. Desert Rock-Fans besorgen sich schnellstmöglich ein Ticket für die für Winter angesetzte Europa-Tour und bekommen obendrauf vielleicht noch ein, zwei KYUSS-Klassiker zu hören.
Setlist BRANT BJORK AND THE LOW DESERT PUNK BAND
Nach kurzer Umbaupause steht eine weitere Legende auf den Brettern: ORANGE GOBLIN drehen den Härtegrad, die Lautstärke und das Tempo nach oben und zeigen ihre metallische Version des Desert Sounds. Bassist Martyn Millard hat sich ein MOTÖRHEAD-Shirt übergeworfen, was programmatisch zu verstehen ist. Die Rotzigkeit von Lemmy & co. haben die Briten in ihre DNA aufgenommen und riffrocken sich durch ein abwechslungsreiches, karriereumspannendes Set. Fronthüne Ben Ward sieht wie der sympathische Metalhead von Nebenan aus und so ähnlich klingt auch die Musik, denn ORANGE GOBLIN spielen ausschließlich das, was sie selbst hören wollen. Dass noch bevor der erste Ton erklingt, das erste Bier des Tages die Bühne besudelt, ist zum Glück kein schlechtes Omen. Die Band, die seit ihrer Gründung vor 20 Jahren in derselben Kernbesetzung antritt, kommt bei der überschaubaren, dafür aber willigen Meute extrem gut an und wird mit mehreren Moshpits bedacht. Ward animiert mit großen Gesten zum Mitmachen und bewegt fast jeden zum Mitklatschen. Die Legendenkollegen von SAINT VITUS schauen sich das genüsslich aus dem Innenraum an und erfüllen vereinzelte Fotowünsche. Das Material von den neueren ORANGE GOBLIN-Alben wird auch den Doom-Pionieren munden. Nach 45 Minuten ist für das Quartett aus Bristol Schicht im Schacht, ‚Red Tide Rising‘ heißt der letzte Song für den Abend und macht klar, dass ORANGE GOBLIN noch lange nicht am Ende sind.
Der letzte Bühnenwechsel für heute führt zurück in die Veltins Arena zum Headlinerauftritt von MUSE. Diesen Status haben sich die Briten vor einigen Jahren erspielt, weil sie einige Alternative Rock-Hymnen geschrieben haben, die in dieser Größe und Massenkompatibilität zuvor kaum einer anderen Genreband gelungen sind. Dem anwesenden Metallervolk ist das Trio nur vom Hörensagen bekannt, vielen sind sie nur als „neue QUEEN“ ein Begriff. Natürlich weisen die beiden Rockgroßkaliber einige Parallelen zueinander auf, doch im Falle von MUSE hat vor allem das letzte Album „The 2nd Law“ zu Zweifeln an der Großartigkeit der Band geführt. Bis auf ‚Panic Station‘ ist die Scheibe eine absolute Vollkatastrophe, weil sie bloße Effekthascherei und puren Größenwahn zwischen QUEEN-Pomp und Dubstep abliefert. Ein denkbar schlechtes Fundament für die anschließende, erste Stadiontournee quer durch Europa, deren Konzerte fast nie ausverkauft waren. MUSE reagierten und kündigten relativ schnell an, dass sie mit ihrem kommenden Album wieder rockiger zur Sache gehen wollen.
Das Versprechen haben die Drei auf dem eine Woche nach dem Festival erscheinenden Album „Drones“ eingelöst, die ersten vier Singles offenbarten jedoch, dass hinter der rockigen Fassade weiterhin wenig Substanz zu finden ist. Für ein Konzeptalbum sind die Texte furchtbar platt, die Musik ist (wenn nicht allzu offensichtlich geklaut) langweilig und verfügt über keinerlei Widerhaken. Trotzdem wurden MUSE auf zahlreiche Festivals im europäischen Festivalsommer 2015 gebucht, weil sie immer noch zu den größten Rockbands der Welt zählen und eigentlich immer eine gute und professionelle Show abliefern. Als sie bei ihrem Rock im Revier-Gig eine Viertelstunde später als angekündigt die Big Stage in der Veltins Arena entern, sprechen die Bilder auf den Videoleinwänden schon irgendwie für sich. Gemeint ist nicht das reduzierte Auftreten der vier Musiker (live unterstützt Morgan Nicholls das Trio mit Keyboards, Samples und vielem mehr), das auf große Bühnenaufbauten verzichtet und 90 Minuten lang in schlichtes Schwarz gekleidet rocken. Vielmehr ist es die Auslastung, die mal wieder enttäuscht: MUSE stehen lediglich 20.000 Zuschauern gegenüber, von denen auch nur die im ersten Wellenbrecher wirklich bereit für die Show zu sein scheinen. Die Band vor einem nicht mal zur Hälfte gefüllten Stadion zu sehen, das ist keine Bankrotterklärung, ist aber dennoch mit einer gewissen Symbolik behaftet. Wäre die geplante Überschneidung mit LIMP BIZKIT bestehen geblieben, die Leere wäre wohl ähnlich erschreckend ausgefallen wie bei INCUBUS, die vor weniger als 10.000 Zuschauern auftreten. Grund könnte aber auch das DFB-Pokalfinale sein, das im Stadion nur im Backstage- und Pressebereich zu sehen ist. Es haben sich sogar ein paar schwarz-gelbe Trikots in die Schalker Heimat verwirrt, um so mehr dürfte den Meisten gefallen haben, dass auf den mit Schalke TV unterschriebenen Fernsehgeräten am Ende ein 3:1 für Wolfsburg zu sehen ist.
Auch das obligatorische RAGE AGAINST THE MACHINE-Tape, das vor der Show abgespielt wird, bekommt dieser Tage eine ganz neue Bedeutung. Anschließend erscheint nämlich der Drill Sergeant auf den Videoleinwänden, der schon aus dem Lyric Video zur ersten „Drones“-Single ‚Psycho‘ bekannt ist und schreit ins weite Rund der Arena. Der Song selbst stampft etwas beeindruckender als in der Studioversion und kommt vor allem aufgrund seines heavy Strophenriffs gut an, der Text ist aber weiterhin zum Fremdschämen. Das Stück verfügt über keinen echten Refrain, weil an dieser Stelle statt eine ohrwurmlastige Gesangsmelodie nur ein durch Effekte verzerrtes „fucking Psycho“ zu hören ist. Das könnte sich durch das Konzept des Albums erklären, dafür ist der Song aber viel zu sehr auf Eigenständigkeit und Eingängigkeit aus. Es ist aber ein generelles Problem mit einem Konzeptalbum auf Tour zu gehen und es dann nicht in Gänze darzubieten. Zusätzlich verzichten MUSE darauf, die Songs in der richtigen Reihenfolge zu spielen und setzen das eigentlich eröffnende ‚Dead Inside‘ an Platz Nummer vier im Set. Dazwischen können die Briten jedoch zeigen, warum sie heute das Line-Up anführen dürfen.
‚New Born‘ zeigt mit Falsettgesang, Pianoklängen, einmaligem Gitarrenriff und kreativen Basslines, dass sich MUSE über die Jahre eigentlich einen eigenständigen Sound und einige Trademarks erarbeitet haben, was sie locker für die Rock-Champions-League qualifiziert. Der Megahit ‚Supermassive Black Hole‘ greift sogar nach dem Rock-Olymp und sorgt für beste Stimmung, man hätte also verstanden, wenn auf „Drones“ eine ähnliche Richtung eingeschlagen worden wäre. Das angesprochene ‚Dead Inside‘ unterbricht den qualitativ hochwertigen Reigen, weil es den Synthpop-Einschlag à la DEPECHE MODE mit keiner guten Idee oder irgendwelchen Highlights verbinden kann. Etwas besser gefallen da schon die verschiedenen Jams, die MUSE im Set einbauen. Diese haben zwar nicht immer etwas mit den angrenzenden Songs zu tun, vertreiben jedoch Langeweile und sorgen mit ihre groovigen Riffs für mal hüpfende, mal klatschende Menschenmassen. ‘Hysteria‘ funktioniert sowieso immer und wird wie das später gespielte ‚Stockholm Syndrome‘ mit einem bekannte Riff einer anderen Band ergänzt und zum Abschluss gebracht. Die Songs werden also nicht nur in ihrer Studioversion runtergespielt, sondern bekommen besondere Live-Momenten hinzugefügt.
Gar nicht gut ist hingegen das schleppende ‚Animals‘, das man fälschlicherweise für einen neuen Song halten könnte. Stattdessen gab es den Titel schon auf dem Vorgänger „The 2nd Law“ zu hören, er darf aber auch schnell wieder vergessen werden, weil er über keinerlei bemerkenswerte Parts und Momente verfügt. Nach einem weiteren Jam kommt auch ‚Apocalypse Please‘ nicht richtig in die Puschen, weil es vor dem Hintergrund der rockigen Ausrichtung der Setlist etwas zu groß und episch wirkt. Es folgt zum vermeintlichen Abschluss eine echte Berg- und Talfahrt: ‚Stockholm Syndrome‘ und ‚Plug In Baby‘ werden so energiegeladen gespielt und euphorisch aufgenommen, dass das Konzert seinen nicht mehr zu überholenden Höhepunkt erlebt. Das ebenfalls neue ‚Mercy‘ ist ein Mix aus ‚Starlight‘ und ‚Madness‘ und erinnert auch aufgrund der in die Menge gefeuerten Papierschnippsel und –schlangen an die durchchoreografierte Belanglosigkeit der letzten COLDPLAY-Alben. Da fragt man sich schon, ob die intime KVELERTAK-Show auf der Bang Stage nicht die bessere Alternative gewesen wäre. Auf die wiederum klasse Interpretation von ‚Time Is Running Out‘ folgt mit ‚Reapers‘ der vielleicht beste neue Song, der auf gut als solche zu identifizierende Gitarrenkunst setzt, aber viel zu offensichtlich im Repertoire einigen Rockgiganten wildert. Als dann auch noch große schwarze Bälle ins Publikum gestoßen werden, erinnert das nicht nur arg an die traditionelle Aktion von METALLICA von vor etwa 24 Stunden, es lässt einen auch kurz darüber nachdenken, warum die wenigen visuellen Reize immer dann gesetzt werden, wenn das Material neu und nicht so stark ist. Danach verabschiedet sich die Band erst mal vom Publikum, dem sie zuvor schon etwas missverständlich: „Wir lieben dicks, Gelsenkirschen!“ zurief.
Die Zugabenblock ist von höchster Qualität, bekommt aber durch das neue „JFK“-Intro einen kleinen Knacks. Eben dieses gehört eigentlich zum „Drones“-Song ‚Defector‘ und wird heute genutzt, um die neue Intensität, die die politischen Aussagen der Band angenommen hat, mit Verschwörungstheorien rund um John F. Kennedy, Edward Snowden und Drohnen zu unterstreichen. Ähnlich vorhersehbar war schon die Weltuntergangstheorie im Dubsteprohrkrepierer ‚Unsustainable‘ und auch jetzt ruft die Band eher Langeweile hervor statt für Aufruhr in der Bevölkerung zu sorgen. Auch das kann als Gegenwartsdiagnose dienen und uns den Spiegel vorhalten, aber leider hat das Ganze so wenig mit künstlerischer Finesse zu tun, dass man gar keine Lust hat sich mit irgendwelchen Fragen zu widmen, die das Album stellt. ‚Uprising‘ gelingt es zumindest im Ohr zu bleiben, für eine weltweite Bewegung hat er aber auch nicht sorgen können. Konzeptionell passt ein Song wie ‚Starlight‘ überhaupt nicht zum gerade Besungenen, kann aber zum Mitsingen anregen. Traditionell beendet das epische ‚Knights Of Cydonia‘ das Set und sorgt schon mit dem weltweit bekannten „Man with the Hamornica“-Intro von Ennio Morricone für Gänsehaut, doch nach den 90 Minuten (von den Veranstaltern wurden zwei Stunden eingeplant) ergibt sich ein ambivalentes Bild vom momentanen Zustand MUSE.
Die hochprofessionelle Show verhilft den alten Hits und Hymnen zu einem dreckigen Anstrich, der das Konzert teilweise zu einem richtigen Genuss werden lässt. Die neuen Songs allerdings zeigen eine andere Band, die nicht so ganz genau weiß, wo sie hin will. Irgendwie macht das Trio mit „Drones“ einen Schritt zurück, weil es wieder rockiger klingen will, hat dafür aber gar nicht die nötige Qualität im eigenen Riffarsenal. Andererseits steht hinter dem neuen Album ein Konzept, das an den Größenwahn der neueren Alben anknüpft, das aber wiederum nur kleckerweise und inkonsequent im Set untergebracht wird. Aber das ist natürlich kein Vorwurf an die Veranstalter, denn wer MUSE buchen kann, der sollte das möglichst auch tun. Es müsste nur so langsam wieder etwas Qualitatives aus dem Hirn der Briten fließen, damit die eigene Karriere nicht doch vorzeitig im kreativen Bankrott endet.
FAZIT: Dass es für die eine oder andere Band heute schwer werden würde, verrät schon der Blick aufs Line-Up, denn nur am Samstag und nur auf der Hauptbühne wird Indie- und Alternative Rock gespielt. Etwa 20.000 Menschen sind da und unter sind nur wenige Metalfans, da das Tageskartenangebot Freitag und Sonntag zusammen günstiger macht als alle drei Tage. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Hauptbühne, auf der Größen wie THE HIVES und INCUBUS weniger als 10.000 Zuschauer ziehen, auch die kleineren Bühnen sind mit Ausnahme der LIMP BIZKIT-Show auf der Boom Stage nur mäßig besucht. Die Idee möglichst jeder Bühne an jedem Tag ein eigenes Genre zuzuordnen, geht nicht auf, weswegen bei einer möglichen Fortsetzung auf die Lage des Campingplatzes und die Eindämmung der Tageskarten geachtet werden muss.
Die Emscher-Lippe-Halle eignet sich gut als Konzertvenue und verfügt über den besten Sound des Festivals, beherbergt aber mit wenigen hundert Besuchern die am schlechtesten besuchte Bühne. Das tut der Stimmung bei BRANT BJORK und ORANGE GOBLIN keinen Abbruch, die zu einem von Legenden gespickten Programm gehören, für das sich bühnenspezifisch gültige Tickets ausgezahlt hätten. ORCHID hätten dort besser hingepasst und gehen auf der Big Stage etwas unter, PARADISE LOST müssen einen undankbaren Slot übernehmen und werden dafür auch noch mit einigen Sonnenstrahlen bestraft. Das durch die neuen, härteren Stücke bestückte, abwechslungsreiche Set wirkt aber ohnehin nicht sonderlich motiviert. THE HIVES machen das deutlich besser und rocken die Arena in bester Rockstarmanier auf, neben und vor der Bühne. MUSE sind immer noch eine klasse Band, haben sich mit ihrem neuen Album „Drones“ keinen großen Gefallen getan. Die neuen Songs sind langweilig komponiert und können nicht mit den hymnenhaften Rockern der älteren Alben mithalten. Doch trotz mäßigem Zuschauerzulauf und 30 Minuten weniger Spielzeit als angekündigt, kommen die Briten gut an. Zufriedenstellend dürfte für die Veranstalter heute nur das stabile Wetter und die friedliche Stimmung gewesen sein.
Morgen der finale Tag mit einem Streifzug über das Gelände, jungen Frauen und alten Männern.