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Lis Er Stille - Köln, Underground - 26.05.2015
Acht zahlende Gäste finden sich zum Gastspiel von LIS ER STILLE im kleinen Saal des Underground ein. "Wir hatten mit fünf gerechnet", üben sich die Musiker im Galgenhumor. Bevor sie sich aufknüpfen, spielen die Dänen jedoch lieber vor handverlesenem Publikum, rasten dabei vergnügt aus und bieten den verdutzten bis euphorisierten Zuhörern an, sie auf ihrer Konzertreise noch am selben Abend zu begleiten. Gewöhnlich geht anders...?!
Das Quartett sieht reichlich zusammengewürfelt aus: Sänger/Keyboarder Martin Byrialsen erinnert äußerlich an Lumpi (den großen Bruder vom "kleinen Vampir"), Bassist Asbjørn Helboe versprüht mit seinem kauzigen Erscheinungsbild hinterwäldlerischen Prog-Charme à la Wobbler, während Gitarrist Tue Schmidt Rasmussen und Schlagzeuger Jon Gotlev noch am Ehesten unter Normcore durchgehen. Hilfreiche Rückschlüsse auf die Musik lässt diese Kombination nur bedingt zu. Doch bevor der Chronist sich zu lange ins Reich des Modischen bis Spekulativen verirrt, legen die nordischen Jungs los – und zwar, als gebe es kein Morgen mehr. Bereits mit dem ersten Lied haben LIS ER STILLE mehr gesagt als andere Bands nach einem abendfüllenden Konzert. Heidewitzka, was für eine Bühnenpräsenz!
Dabei machen die Dänen von Anfang an klar, dass es ihnen um den Spaß an der Freude geht – anders lässt es sich auch nicht erklären, was da für Lieder auf die kleine Bühne gewuchtet werden: wunderlich arrangierte Kompositionen, die sich hierhin und dorthin winden, mit Kontrasten und Brüchen nicht geizen und allen Beteiligten viel Spielraum im wahrsten Sinne des Wortes lassen, um sich mit gehörigem Selbstbewusstsein in die Musik hineinzuwerfen. Und da prallen Welten aufeinander: träumerische Passagen im Stile des Siebziger und Neunziger Prog Rocks treffen auf postmoderne Varianten zwischen Pure Reason Revolution und Papir, vermengt mit einer Prist Post / Doom Metal. Dargeboten wird die wilde Mischung mit einer Wucht, wie sie zuletzt Toundra auf die Bühne brachten. Und Martin Byrialsen hat gesanglich den Achtziger Wave ebenso drauf wie kraftvollen Rock.
Festgelegt auf "ihre" Instrumente sind die Jungs auch nicht allzu zwanghaft, sondern wechseln schon mal ein wenig hin und her, so dass sich entweder zwei Tastenritter duellieren, eine psychedelisch klingende Elektroflöte oder zusätzliche Percussions zum Einsatz kommen. Trotz alledem wirkt das Konzert keineswegs chaotisch, sondern entwickelt einen eigenen Tiefensog, dem ich mich schwerlich entziehen kann, auch wenn ich an diesem Abend zum ersten Mal etwas von der Band höre. Martin Byrialsen ist vom eigenen Auftritt vor kleinstem Publikum so angetan, dass er offenbar jeden Einzelnen spontan in sein Herz schließt, den Anwesenden rät, am nächsten Morgen nicht zur Arbeit zu gehen und dafür die Tournee zu begleiten. Ein belgischer Fan scheint den Keyboarder seit Tagen beim Wort zu nehmen und taucht bereits beim x-ten Konzert auf. Man kann sein Leben wesentlich dümmer verschwenden, soviel steht fest.
Fazit: LIS ER STILLE verstehen mich ohne vorige Kenntnis der Musik quasi vom ersten Ton an zu beeindrucken, ja, mehr noch zu begeistern. Die Art und Weise, wie das Quartett seine eigenwillige wie eingängige Musik auf der Bühne zum Leben erweckt, hält die Hoffnung am Leben, dass sich beim nächsten Gastspiel mehr Musikfreunde einfinden. Wer sich für acht zahlende Gäste so den Arsch aufreißt, hat es zweifelsohne verdient.
Photos: Ulrike Serowy