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Interview mit Cirque Royal (09.03.2012)

Cirque Royal

Unter dem Namen CIRQUE ROYAL haben sich vier sympathische Typen aus Konstanz zum gemeinsamen Musizieren zusammengefunden. Auf ihrem Debütalbum "We Come In Peace" gefallen sie mit dynamischem, atmosphärischem Indierock ohne besserwisserischen Studentenmief. Wir fragten nach den Hintergründen zur Band und zum Album und bekamen von allen vier Bandmitgliedern Antworten geliefert.

Hallo, hoffe, es geht gut. Fangen wir einfach mal ganz vorne an. Ihr seid eine Newcomerband, deren Name wohl noch nicht allzu vielen Leuten geläufig sein dürfte. Seit wann gibt es euch und wie habt ihr als Band zusammengefunden?

David Leon: Das ist eigentlich total klassisch und relativ unspannend: drei von uns waren zeitweise zusammen in derselben Schule, sogar derselben Stufe. Und erste musikalische Gehversuche gab es tatsächlich schon vor zehn Jahren. Die offizielle Geburtsstunde von CIRQUE ROYAL ist trotzdem erst 2010, weil da einfach alles zusammenkam, was die Band heute ausmacht…

Max Talmon-Gros: Ganz so unspannend war’s gar nicht – das Internet hat mich per Zufall zu den Dreien gebracht.

Wie alt seid ihr so und gab es vor CIRQUE ROYAL schon andere musikalische Betätigungsfelder der einzelnen Bandmitglieder?


Hanno Gerhold: Wir sind Endzwanziger. Max ist etwas jünger. In dem Alter hat man üblicherweise bereits Banderfahrung gesammelt. Als junge Menschen haben wir verschiedene Projekte und Bands gehabt, in denen wir uns als Musiker kennen und schätzen gelernt haben. Aber auch außerhalb der jetzigen Besetzung machten wir Musik. Zum Beispiel hat Nicolai auch als Saxophonist Erfahrung sammeln können. Eben diese verschiedenen Einflüsse, die uns als Band ausmachen, kann man auf "We Come In Peace" wahrnehmen.  

Wie seid ihr auf den Bandnamen gekommen und was ist der "königliche Zirkus", wofür steht der Begriff?

Nicolai Ruh: Bandnamen sind ja meistens eine schwierige Geburt. Wir haben einen Namen gesucht, der uns nicht direkt in eine Nische rückt -  in dem also keine Wörter wie Blut, Grab oder Satan drin vorkommen. Witzigerweise übersetzen viele Leute den Bandnamen ins Deutsche. CIRQUE ROYAL klingt irgendwie edel und lässt viel Raum für Interpretationen. Ein Zirkus ist ein mystischer Ort, an dem deine Fantasie angeregt wird. Du wirst für einen kurzen Zeitraum aus der Alltagswirklichkeit gesogen und an einen magischen Ort katapultiert, von dem aus du hoffentlich bereichert zurückkehrst. Das ist es, was wir auf Konzerten erreichen wollen.

Ihr bezeichnet eure Musik selber als Space Pop. Warum?


Nicolai Ruh: Der Begriff "Space-Pop" stammt von einem Freund, der einen Pressetext zu "We Come In Peace"  verfasst hat. Uns gefällt diese Bezeichnung gut, weil sie das äußerst schwammige Label "Indie-Rock" umgeht, mit dem heutzutage Alles und Nichts bezeichnet wird. Außerdem kommt es unserer Wahrnehmung des Albumsounds nahe, da wir häufig eingängige Melodien und Rhythmen in komplexere Klanglandschaften einbetten.

Außerirdische Invasoren und Aggressoren behaupten ja grundsätzlich immer, dass sie in Frieden kommen, um dann die Welt in Schutt und Asche zu legen, die Menschheit zu versklaven oder was auch immer anzustellen. Was ist euer geheimes Ziel?

David Leon: Wir wollen natürlich die Weltherrschaft an uns reißen – und Menschheit versklaven klingt nach einer sehr guten Idee! Vielen Dank dafür! Nein, im Ernst: was kann man als Band schon für geheime Ziele haben? Wir wollen Spuren hinterlassen - was auch immer das heißen mag.

Nicolai Ruh: Einmal öffentlich von Noel Gallagher beleidigt werden.

Cirque Royal "We Come In Peace" CoverDer erste Satz auf "We Come In Peace" lautet: "Planet earth about to be recycled." Warum recycelt, warum nicht gleich zerstört? Und welche Entsorgungsinstanz übernimmt das Recyclen?

David Leon: Die geniale Idee mit dem Recycling stammt leider nicht von uns. Und der Verfasser, Herr Marshall Applewhite, ist… sagen wir mal… "unbekannt verzogen". Eigentlich ist die Geschichte auch nicht so wirklich witzig, Marshall Applewhite war der Anführer der Ufo-Sekte "Heaven’s Gate", die 1997 kollektiv Suizid beging, weil sie glaubte, dass die Erde recycelt wird und sich hinter dem Kometen "Hale Bopp" ein außerirdisches Raumschiff befindet, das sie rettet. Das "Recycling" ist auch im Sinne von Reinigung oder Erneuerung zu verstehen. Man recycelt also quasi seine Schale, den Körper, um von vorne beginnen zu können. Wie eine Neuerfindung oder Neugeburt – in Endlosschleife. Ein schönes Bild also für den ersten Song eines Debütalbums…

Ist Kritik am Zustand der Welt und der sich darauf befindlichen Menschheit die Kernthematik, die ihr in euren Inhalten verarbeitet?

David Leon: Nein, das kann man so nicht sagen. Im Prinzip gibt es DIE eine Botschaft auch nicht, "We Come In Peace" ist ja nicht wirklich ein Konzeptalbum – und CIRQUE ROYAL keine Nischenband, die sich mit einem begrenzten Themenpool beschäftigt. Wenn wir Songs schreiben, ist so gut wie immer zuerst die Musik da. Und die textliche Inspiration ziehe ich dann tatsächlich aus dieser Musik selbst, in dem ich mich einfach vom Gefühl und den Bildern, die mir dazu in den Sinn kommen, leiten lasse. Das können ganz abstrakte Themen sein, wie zum Beispiel die Geschichte über die Liquidatoren von Tschernobyl, die ich in "Rats" thematisiere. Das können aber auch persönliche Erfahrungen wie Liebe oder Angst sein. Es muss einfach passen.

Was machen die Ratten oder wer sind die Ratten, von denen "Rats" handelt?

David Leon: "Rats" handelt von entmenschlichten Menschen, die nur noch eine Funktion haben. Der Titel kommt von Gerhart Hauptmanns Drama "Die Ratten", das sich mit der "Sozialen Frage" des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Im Song geht es aber um die Liquidatoren von Tschernobyl, jene freiwilligen Helfer, die "die Welt" "freiwillig", des Ruhms wegen, mit ihren bloßen Händen "gerettet" haben. Ich verwende dabei teilweise Zitate aus Zeitzeugenberichten…

Und obligatorisch: warum geht die Sonne demnächst im Westen auf und nicht mehr im Osten? Und ist das eine Folge des Recyclings von Planet Erde? Wird alles auf den Kopf gestellt und umgekehrt?

David Leon: Der Titel stammt tatsächlich aus dem Koran und ist eines der Zeichen einer bevorstehenden Apokalypse: "wenn die Sonne im Westen aufgeht, wird das Jüngste Gericht kommen."
Im Song selbst geht es aber eigentlich garnicht so sehr um den "globalen" Weltuntergang, sondern eher um einen persönlichen – und um die Frage, wie abgestumpft wir durch gescheitere Beziehungen, leidenschaftslose Affären und schnellen Sex sind. Und wie verbraucht durch das ewige Hin- und Her zwischen rosarotem Glück und bleischwerem Herzschmerz. Am Ende steht aber die Hoffnung…

MNKY FRNT = Monkey Front? Und wenn ja, warum?

David Leon: Genau, die Affenfront. Max, unser Bassist, wollte in Indonesien einen Affen befreien, der offensichtlich schon eine ganze Weile an einen Bambus gebunden war. In großem Eifer wurde mit einigen "stupid fucking rich kids" die sogenannte "Monkey Front" gegründet. Aus der Befreiung wurde aber leider nichts, da der Affe am Tag der geplanten Befreiung verschwunden war. Der Song und die textliche Thematik haben auf den ersten Blick wenig mit dem "Space"-Konzept des Albums zu tun, aber irgendwie erinnert die Geschichte dann doch an die "Befreiungsarmee der Affen" aus dem Film "12 Monkeys", der sich wiederum mit postapokalyptischen Themen auseinandersetzt. So wird ein Schuh draus!

Mord aus Leidenschaft – ein schönes Motiv für ein kitschiges Drama und allgemein beliebter Stoff für Spielfilme. Oder geht es in "Passion Pulled The Trigger" gar nicht um Eifersuchtsdramen?

David Leon: Ich glaube der Titel stammt tatsächlich aus der Krimi-Ecke, aus einem Bildband über Kriminalroman-Artwork der Fünfziger-Jahre oder so. Ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß.
Im Text geht es aber um die große böse Musikindustrie, vor der wir weglaufen und in deren Fänge wir uns nicht begeben wollen, weil wir uns von keinem vorschreiben lassen wollen, wie wir unsere Kreativität umzusetzen haben. Außerdem… kann es einen schöneren Abschluss für ein Debütalbum gehen als diesen: "Does anybody listen, does anybody care?"

Von den Inhalten zurück zur Musik. Würdet Ihr ganz grundsätzlich englische Alternative Musik als einflussreich für CIRQUE ROYAL bezeichnen? Bevor ich mich damit beschäftigt hatte, wer hinter der Musik steckt, hätte ich Euch nämlich nicht zwingend für eine deutsche Band gehalten.

Cirque EoyalDavid Leon: Danke für das Kompliment! Was grundsätzlich der größte musikalische Einfluss für uns ist, ist schwer zu sagen, da wir alle aus unterschiedlichen musikalischen Richtungen kommen und auch privat teilweise ganz unterschiedliche Musik hören. Auf mich persönlich trifft das mit der englischen Alternative-Musik definitiv zu, ich habe –angefangen beim Britpop der Neunziger –die Musik von Bands wie THE SMITHS, THE STONE ROSES oder THE JAM wie ein Schwamm aufgesogen. Allerdings dürfte davon auf "We Come In Peace" kaum etwas zu hören sein…

Nicolai Ruh: Also ich für meinen Teil würde da nicht grundsätzlich zwischen englischen oder amerikanischen Einflüssen unterscheiden. Mich persönlich faszinieren englische Bands wie RADIOHEAD, DEPECHE MODE oder ECHO AND THE BUNNYMEN ebenso, wie amerikanische Bands wie SONIC YOUTH oder die SMASHING PUMPKINS. Interessanterweise nennen diese Bands wiederum deutschen Krautrock als eine ihrer Inspirationsquellen. Für mich macht es deshalb nicht so viel Sinn da in nationalen Kategorien zu denken.

Wie entsteht eure Musik? Habt Ihr einen Hauptsongwriter, ist eure Musik Ergebnis von Proberaum-Jams, sammelt jeder von euch Ideen und ihr guckt dann, was man draus machen kann oder wie läuft das bei Euch?


Nicolai Ruh: Das Songwriting läuft bei uns ziemlich demokratisch ab. Über die Zeit hinweg hat sich eine gewisse Rollenverteilung entwickelt. Meistens bringen David oder ich eine Rohidee ein, die dann gemeinsam weiterentwickelt wird. Häufig hat sich der fertige Song am Ende dann ziemlich weit von der Grundidee entfernt. Das Spannende ist, dass wir aus unterschiedlichen Perspektiven an die Sache rangehen. Das hält den Songwritingprozess abwechslungsreich, führt aber auch zu Spannungen und Reibungen. Manchmal entstehen Songs aber auch aus Jams heraus. Das sind dann die magischen Momente, in denen es bei allen Bandmitgliedern gleichzeitig "Klick" macht.   

Max Talmon-Gros: Eingebrachte Ideen können  wie die Eintrittskarte in eine Kreativwerkstatt wirken – bis ein Stück fertiggestellt wird, kann es sein, dass die anfängliche Idee fast jede musikalische Spielrichtung durchlaufen hat oder sie wirkt als Schlüssel für ein Projekt, das mit der Grundidee nichts mehr zu tun hat.

Ihr seid im April auf Tour. Was darf man da erwarten? Und wie sieht es mit der Bühnenerfahrung aus?

Hanno Gerhold: Vor allem gute Musik würde ich sagen. Und auch einen vom Album abweichenden Sound. Live klingen wir rauer. Selbstverständlich kann man live auch Songs hören, die nicht auf dem Album zu finden sind. Bühnenerfahrung? Ja!

Max Talmon-Gros: Unsere Stücke sind oft im Jam entstanden, was ja einer Live-Situation nahe kommt – ich denke deshalb, dass unserer Sound live vor allem Authentizität beherbergt und mehr oder ganz andere Dynamiken zulassen kann, als man sie vielleicht beim Hören des Albums vermuten möchte.

Eure letzten Worte an unsere Leser?


David Leon: Letzte Worte klingt irgendwie makaber. Apropos… am 21. Dezember, dem scheinbar offiziellen Weltuntergangstag, kommt Marshall Applewhite, der "Held" aus unserem Titelsong, auf die Erde zurück und bewahrt diejenigen, die im Besitz unseres Albums sind, vor dem Weltuntergang. "Planet earth about to be recycled, your only chance to survive: leave with us!"

Andreas Schulz (Info)
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