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Haavard: Haavard (Review)

Artist:

Haavard

Haavard: Haavard
Album:

Haavard

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Experimental Chamber Music

Label: Prophecy Productions
Spieldauer: 53:31
Erschienen: 11.11.2022
Website: [Link]

Als die sich seinerzeit dem "Trolsk Sortmetall" zurechnende Band Ulver anno 1996 ihr zweites Langspielalbum "Kveldssanger" ("Zwielichtgesänge") veröffentlichte, ahnten wohl nur Musikliebhaber mit Weitblick, dass es sich dabei um eine epochale Aufnahme handelte. Nicht wenigen Hörern stießen die Norweger mit jenen romantischen Akustikstücken nämlich vor die auf finsteren Lärm wartenden Dickschädel. Einer der Hauptverantwortlichen für diesen ungewöhnlichen musikalischen Kurswechsel nach dem träumerisch-schroffen Langspiel-Debüt "Bergtatt" war Gitarrist Håvard Jørgensen. Im Herbst 2022 veröffentlicht selbiger sein Solo-Debüt, das unter dem Titel "Haavard" so locker wie feinsinnig an jene "Kveldssanger"-Aufnahmen anknüpft, die ein ganzes Subgenre begründeten und zahlreiche Musiker bis heute inspirieren.

Ein persönlicher Rückblick: Als mir Mitte der Neunziger ein Freund mit besten Briefkontakten nach Norwegen das "Kveldssanger"-Album überreichte, konnte er seine Enttäuschung nicht verbergen: Nein, damit könne er rein gar nichts anfangen, doch vielleicht würde ich einen Zugang finden, schließlich hörte ich ja auch andere sonderbare – also nicht ausschließlich metallische – Musik. Meine Überraschung war groß, die Begeisterung noch größer, als ich "Kveldssanger" zum ersten Mal hörte: Märchenhafter konnte solche Musik nicht klingen! Und in der Tat waren Jørgensen und seine Mitmusiker von der heimischen Märchenwelt bis über beide Ohren fasziniert und spürten ihr im Unterholz und Waldesdunkel mit simplen Mitteln nach, was sagenhaft atmosphärische Stücke zur Folge hatte. Auf den Spuren von Asbjørnsen, Moe und Kittelsen inszenierten Ulver diese Märchen mit Akustikgitarre, Cello, Flöte und betörenden Gesangsarrangements auf jugendlich schwärmerische bis ungestüme Weise.

Der Einfluss von "Kveldssanger" auf jenen aus dem Black Metal erwachsenden Dark Folk mitsamt seinen Mischformen darf wohl als riesig bezeichnet werden. Ohne dieses Album hätte es kaum einige Meisterwerke von Empyrium oder Lönndom in den bekannten Formen gegeben, Projekte wie October Falls oder Vàli wären vielleicht gar nicht ins Leben gerufen worden.
Nun sind bald drei Jahrzehnte vergangen, und Håvard Jørgensen ist ein Mann wohl in der Mitte seines Lebens, der zwischenzeitlich dem Black Metal den Rücken gekehrt hatte, jedoch spätestens mit Gründung von Dold Vorde Ens Navn anno 2019 heimgekehrt ist, und zwar mit Herz und Seele. Daran kann insbesondere seit der Darbietung auf dem diesjährigen Prophecy Fest kaum noch Zweifel bestehen, und auch dort gelang dem Gitarristen ein ebenso unverkrampfter wie selbstbewusster Brückenschlag in weit zurück liegende Tage, deren Meisterwerke für das heutige Schaffen keine Grenzen setzen.
"Haavard" ist nämlich kein zweites "Kveldssanger", das sei ausdrücklich betont, auch wenn das mancherorts zu lesen sein wird und allein aufgrund der Personalie und der akustischen Instrumentierung naheliegend scheint. Doch es handelt sich um ein Album, dessen musikalische Reife, Vielfalt und Virtuosität die romantisch-naiven Vertiefungen der späten Jugend erheblich überragt – womit natürlich noch nichts über die Intensität bzw. Wirkkraft der Aufnahmen ausgesagt ist. In dieser Hinsicht gelingt Håvard Jørgensen ein Kunststück, das niemand von ihm erwarten durfte, und welches die allerwenigsten meistern, die sich nach geraumer Weile daran begeben, an die unerwartet erfolgreiche Musik ihrer Jugend anzuknüpfen und diese eben nicht zu kopieren, sondern – möglichst befreit von Erwartungshaltungen – weiterzuentwickeln. Doch genau das macht HAAVARD auf diesem 13 Lieder umfassenden Album, das eher selten nach Rückkehr ins Dämmrige als vielmehr nach Aufbruch im Tageslicht klingt und phantastisch arrangiert ist. Mit seinem feinfühligen Gitarrenspiel erinnert Håvard Jørgensen heuer an seinen Landsmann und Namensvetter Espen Jørgensen (der wiederum sein Debüt-Album einst auf Jester Records von Ulver-Frontwolf Kris "Garm" Rygg veröffentlichte), sprich: Es besteht nicht die leiseste Verwechselungsgefahr mit Neofolk und ähnlich limitierter Nischenmusik, sondern es kann z.B. beim das Album eröffnenden "Printemps" wohl eher von einer offenherzigen kammermusikalischen Darbietung gesprochen werden.

Bereits der zweite Song "Heartwood" wartet hingegen mit dunklen Soundtrack-artigen Arrangements auf, und ein erster Kontrast ist gesetzt. Der nächste folgt sogleich, denn die Flötenklänge in "Oberon" tauchen die märchenhafte Waldlandschaft in helles Licht, die warmen Streicher unterstreichen die wohlige Atmosphäre. Kammermusik für Traumreisen, der jegliche Metal- oder Dark-Folk-Bezug abgeht. Das mit treibenden Percussions unterlegte "The Chase" wirkt demgegenüber in der Kürze von nur 80 Sekunden fast schon gehetzt. "Snøhetta" nimmt sich im Anschluss daran Zeit, die (Kirchen?) Glocken in der Ferne verhallen zu lassen, während die Gitarrenmelodien in die weite Landschaft hinausführen. Ihr merkt: Auf "Haavard" geht es ungewöhnlich abwechslungsreich zu, dazu jederzeit stimmungsvoll und inspiriert. Hier scheint nichts dem Zufall überlassen, nichts klingt so "weil 'man' das halt so macht", sondern bemerkenswert gegenwärtig, persönlich und mitunter auch ein wenig zauberisch. Das berauschende "Emanuelle" überrascht u.a. mit andalusischen und französischen Anklängen, die souverän eingeflochten werden in einen nordischen Sound, der Klischees gekonnt umschifft.
Mit vertrauter Melodie tönt einzig das eindeutig betitelte "Kveldssang II" nostalgisch, ein kurzes Echo der Vergangenheit, das nicht mal zwei Minuten währt, fast so, als wollte der Komponist und Interpret gar nicht erst Gefahr laufen, zu viel Altes aufzuwärmen. Apropos alt: Auch der Leitwolf darf ein Stück namens "Mot Soleglad" mit seinem Gesang bereichern, das zwar inhaltlich an den Ulver-Klassiker erinnern mag, jedoch musikalisch in einer ganz anderen Liga stattfindet.

FAZIT: Håvard Jørgensen gelingt mit "Haavard" eine faustdicke Überraschung, denn weder handelt es sich bei seinem Solo-Debüt um eine Neuauflage von "Kveldssanger", noch um eine halbgare Angelegenheit eines nicht mehr wirklich inspirierten Mitvierzigers, der die eigene Langeweile mit behelfsmäßiger Klimperei verjagen möchte. Stattdessen legt der Norweger ein Album vor, dessen 13 Aufnahmen durch ihre Klarheit im Ausdruck, ihre Vielfalt und Stimmung bestechen. Es dürfte Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bis Ulver oder Satyricon ähnlich schöne Musik vorlegen – falls es ihnen überhaupt noch einmal gelingen sollte. HAAVARD spielt indessen in der Liga von David Darling, und darf diese Musik hoffentlich demnächst in Konzerthäusern mit grandioser Akustik aufführen.

Thor Joakimsson (Info) (Review 2355x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Printemps
  • Heartwood
  • Oberon
  • The Chase
  • Snøhetta
  • Emmanuelle
  • Eastwood
  • Niende Mars
  • Kveldssang II
  • Sørgemars
  • Mot Soleglad
  • Myrull
  • Athena

Besetzung:

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  • keine Interviews
Kommentare
Musikfan
gepostet am: 08.11.2022

Das Album ist noch nicht erschienen, aber auf Spotify kann man ein paar Lieder hören und die haben mich so begeistert, dass ich mir die CD sofort Vorbestellt habe. 14 Punkte passen und danke für den Tipp
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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